Die S̶a̶m̶m̶l̶u̶n̶g̶ von Franz Emil Hellwig

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Mit der Ausstellung „It's all about collecting …“ laden wir Sie ein, über das Wesen des Sammelns nachzudenken. So treffen Sie in den Texten auf unter­schied­liche Forma­tierungen des Wortes „Sammlung“.

Da Franz Emil Hellwig mit eindeutig kommerziellen Vorsätzen und im Rahmen des deutschen Kolonial­systems „sammelte“, finden Sie seine Sammlung durch­gestrichen gekennzeichnet.

1.700 Objekte umfasste die Sammlung des aus Halle (Saale) stammenden Unternehmers und ethnografischen Laien Franz Emil Hellwig (1854–1929), die von der Stadt 1899 erworben wurde. Es war eine der frühen und umfangreichen Kollektionen von Werken aus Ozeanien in Deutschland. Sie umfasste kunstvoll gearbeitete Waffen, Handwerksgeräte, Gebrauchsgegenstände und Skulpturen aus der Kolonie Deutsch-Neuguinea (heute Melanesien, vor allem Teile von Papua Neuguinea, sowie Teile Mikro- und Polynesiens).
 

Der Hallenser Franz Emil Hellwig (1854–1929) begab sich 1895 als Angestellter der Deutschen Handels- und Plantagen Gesellschaft Hamburg (gegr. 1878) erstmals in deren „Schutz-gebiete“ im heutigen Papua-Neuguinea, wo er bis 1898 die Niederlassung auf der Insel Mioko (im Süden der Duke-of-York Inseln, Bismarck-Archipel) leitete. 1896 wurde er zu einem stellvertretenden Beisitzer des Kaiserlichen Gerichts in Herbertshöhe (heute Kokopo, Papua-Neuguinea) berufen.

Hellwig ist ein typischer Repräsentant der deutschen Kolonialbewegung, der die Machtstrukturen für seine Interessen umfänglich nutzte. Er eignete sich ethnologische Kenntnisse an und trug seine erste Sammlung sehr wahrscheinlich durch Kauf, Tausch und Diebstahl zusammen. Die Übernahme der Werke von ihren Eigentümern erfolgte nicht auf Augenhöhe. Der Historiker und Journalist Götz Aly charakterisierte Hellwig in seinem Buch „Das Prachtboot“ 2021 als einen „fachlich angelernten Serienräuber“.

Nach seiner Rückkehr nach Halle (Saale) veräußerte Hellwig seine Sammlung für 5.500 Mark gewinnbringend an die Stadt.

Von 1899 bis 1904 reiste Hellwig erneut in das inzwischen nicht mehr als „Schutzgebiet“, sondern als Kolonie bezeichnete Deutsch-Neuguinea, diesmal im Auftrag der Hamburger Firma Hernsheim & Co, und trug eine zweite Sammlung zusammen, die er 1905 für 20.000 Mark an die Stadt Hamburg verkaufte.

Im Jahr 1907 wurde er Inhaber des Kolonialwarenladens von Karl Eisengräber in der Geiststraße 15 in Halle (Saale), mit dem er bereits seit längerem in geschäftlichem Kontakt stand, indem er ihm „Waren“ besorgte. Im Folgejahr verkaufte er jedoch in Vorbereitung einer erneuten mehrjährigen Reise den Laden wieder. Zwischen 1908 und 1910 war Hellwig als Teilnehmer der „Hamburger Südsee-Expedition“ ein drittes Mal in der Region. Daran anschließend war er bis 1923 als Magazinverwalter des Völkerkundemuseums in Hamburg tätig. 1924 kehrte er nach Halle (Saale) zurück.


Heute existieren im Museum nur noch wenige Objekte, hauptsächlich die in der Ausstellung gezeigten farbig gefassten Rindenbastmatten (Tapa) aus Samoa und Fidschi. Die übrigen Kunstwerke in der Präsentation sind Leihgaben aus den Staatlichen Ethnographischen Sammlungen in Dresden, wohin ein Teil der Sammlung 1953 im Zuge der sogenannten Museumsprofilierung in der DDR abgegeben wurde.

 

Fidschianisch, Masi (Rindenbastmatte), 19. Jahrhundert, freihändig bemalt mit pflanzlichen Farben und Ruß, 120 x 237 cm mit Fransen, Kulturstiftung Sachsen-Anhalt, Kunstmuseum Moritzburg Halle (Saale), Foto: Punctum / Bertram Kober

Tapa bedeutet geklopft oder gehämmert. Der polynesisch und malinesisch gleichlautende Name beschreibt phonetisch die Geräusche der Herstellung, bei der das Innere des Rindenbasts von Brotfrucht-, Maulbeer- oder Feigenbäumen zu einem Faservlies geklopft wird. Verwendet werden bis zu zwei Meter lange astfreie Stämme, von denen die Rinde abgezogen, die äußere Borke abgeschabt und die weiche innere Rinde mehrere Stunden gekocht wird. Mit dem Klopfen vergrößert sich die Materialfläche erheblich und die Fasern verfilzen. Die Herstellungstechnik ist seit etwa 15.000 Jahren bekannt und hat sich entlang des Äquators von Polynesien und Indonesien bis nach Zentralafrika und in Mittel- und Südamerika verbreitet. Wie Papyrus gilt Tapa als ein strapazierfähiger Vorläufer des Papiers.

Tapa wurden als Schreib- oder Malunterlage, für Kleidung, Fahnen und Teppiche, Behänge, Verpackungen und viele andere Zwecke verwendet. In Vanuatu (Inselstaat in Melanesien) sind verzierte Tapa-Gürtel Rangabzeichen von Würdenträgern. In Fidschi waren aufwändig bemalte Tapamatten wichtige Ausstattungsdetails königlicher und auf Tahiti religiöser Zeremonien. Solche Matten dienten ebenso als wertvolle Geschenke.   

Mit Beginn der europäischen Einflussnahme im späten 18. und 19. Jahrhundert erweiterten sich die tradierten Muster um neue Elemente. Tapa entwickelten sich in vielen Regionen des Pazifik zu begehrten Souvenirs.

Formelle Bezeichnung für deutsche Kolonien. Der von der Regierung Otto von Bismarcks geprägte euphemistische Begriff bezeichnete Regionen, die für die Teilhabe des deutschen Kaiserreichs am Welthandel von Bedeutung waren, zunächst aber von den Handelsgesellschaften selbst verwaltet wurden. „Schutzgebiete“ sollten helfen, den deutschen Handel vor anderen Kolonialmächten zu schützen und wurden daher mit diesem irreführenden Begriff bezeichnet. Der Staat sollte Schutz versprechen, wollte sich aber nicht weiter verpflichteten. De facto waren bereits diese „Schutzgebiete“ Kolonien.

Im April 1883 annektierte die britische Kolonie Queensland (Australien) die nicht von den Niederlanden beanspruchten Gebiete Neuguineas infolge eines Handelskonfliktes zwischen deutschen sowie australischen und britischen Kaufleuten. Im Februar 1885 wurden die europäischen Interessen in London verhandelt und abgegrenzt. Dem deutschen Kaiserreich fielen die Gebiete an der Nordostküste Neuguineas einschließlich der nördlich vorgelagerten Inseln, d. h. des ab 1885 so genannten Bismarck-Archipels, Samoa und Tonga zu. Die Neuguinea-Kompagnie, eine 1882 von Bankiers und Großfinanziers gegründete Aktiengesellschaft, nahm die spätere deutsche Kolonie in Besitz und wurde am 17. Mai 1885 mit einem kaiserlichen „Schutzbrief“ ausgestattet, der ihr die Hoheitsrechte und autonome Selbstverwaltungsrechte übertrug.

Aufgrund der drohenden Insolvenz der Gesellschaft kaufte 1898 das Kaiserreich diese Rechte zurück und setzte einen kaiserlichen Gouverneur ein. Am 1. April 1899 wurde Deutsch-Neuguinea offiziell eine deutsche Kolonie.

 

Der Erwerb und die Rezeption der Sammlung ist ein bedeutendes Kapitel in der Museumsgeschichte, da vor allem die Wahrnehmung des Kunstwertes der Werke eng mit der Entwicklungs- und Stilgeschichte der modernen deutschen Kunst verknüpft ist. Max Sauerlandt (1880–1934; 1908–1919 Direktor des Museums) erkannte die künstlerischen Qualitäten und fand, im Gegensatz zu den Intentionen Franz Emil Hellwigs und anderer Wissenschaftler, einen bemerkenswert unvoreingenommenen Zugang zu diesen Werken aus der Sicht eines Kunstmuseums.

Franz Hellwig verknüpfte mit dem Verkauf seiner Sammlung die Hoffnung, dass dem städtischen Museum für Kunst und Kunstgewerbe eine ethnographische Abteilung angegliedert werden würde. Sie sollte der „Allgemeinheit“ zur „wissenschaftlichen und regulären Belehrung“ dienen, formulierte er noch 1925. Grundlage hierfür sollten neben seiner eigenen Sammlung die bereits zuvor angenommenen Schenkungen von Franz Berghaus sowie die von Emil und Paul Riebeck sein.
 

Teile von Hellwigs Sammlung hat Max Sauerlandt 1913 in den neu errichteten Museumsräumen in der Moritzburg als Teil der Dauerausstellung präsentiert. Im obersten Geschoss des Torturms im stadtseitigen Ostflügel zeigte er sie in Ergänzung der Präsentation der angewandten Kunst Deutschlands. Etwas Besonderes war die Integration eines Gemäldes von Emil Nolde in diese Ausstellung. Das Gemälde „Exotische Figuren: Europäer, Maske und Tonfigur“ (1912), heute bekannt unter dem Titel „Der Missionar“, arrangiert drei Kunstgegenstände aus Korea, Südsudan und Niger, die Nolde im Berliner „Völkerkunde“-Museum gesehen und gezeichnet hatte.

Sauerlandts Nachfolger Alois J. Schardt (1889–1955; 1926–1936 Direktor) ließ die Präsentation 1926 abbauen und die Werke verpacken. 1929 bis 1931 stellte Schardt den Raum Lyonel Feininger (1871–1956) als Atelier für seine Halle-Bilder zur Verfügung. Nach einem Besuch in Halle (Saale) im Februar 1927 schrieb Sauerlandt enttäuscht: „sehr schmerzt mich die Entfernung der Südseesammlung aus dem Organismus des Museums und ich finde diese Entfernung grundsätzlich falsch“. 1928 zog er die Leihgabe des Nolde-Gemäldes, die seiner privaten Sammlung entstammte, zurück, da es so im Museum seinen Sinn verloren habe.

Im Dezember 1953 übereignete das Museum mehr als 240 Einzelwerke sowie mehrere Kisten und Kartons kleiner ‚Objekte‘ an das Leipziger „Völkerkunde“-Museum. Über den Verbleib der übrigen mehr als 1.300 Arbeiten liegen keine Informationen vor.
 

 

Die Tätigkeit Hellwigs macht die große Ambivalenz solcher Sammlungen deutlich. Dem Verdienst der Dokumentation einer durch den Kolonialismus eruptionsartig veränderten Gesellschaft steht sein Anteil an der nahezu vollständigen Zerstörung ihrer Kultur und am Untergang des vermeintlichen „Südsee-Paradieses“ gegenüber. Das Ansammeln von Artefakten in großem Stil war ein Geschäftsmodell zur Erzielung von bedeutenden Gewinnen. Gleichzeitig war es mit der – sowohl materiellen wie auch ideellen – Ausplünderung der Region verbunden. Die Rechtmäßigkeit des Erwerbs der Werke muss heute stark bezweifelt und den Restitutionsansprüchen der Herkunftsgesellschaft daher offen begegnet werden.

Welche Zugänge sind gegenwärtig möglich, welche sind notwendig? Eine reflektierte Auseinandersetzung mit dem deutschen Kolonialismus verlangt nach der Frage, wie heute eine angemessene museale Präsentation und Vermittlung möglich sein kann. Diesen Fragen widmet sich die Ausstellung „It's all about collecting …“.

 

It's all about collecting …

Expressionismus | Museum | Kolonialismus
Die Sammlung Horn zu Gast in Halle (Saale)

17.03.2024 — 23.06.2024

Kuratorisches Team

Thomas Bauer-Friedrich, Anke Dornbach, Ulf Dräger

Beratungsteam

Patricia Vester, Potsdam, Deutsch­land | Tommy Buga, Port Moresby, Papua Neu­guinea | Prof. Dr. Albert Gouaffo, Dschang, Kamerun

#itsallaboutcollecting

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