28. Januar 2022

Frühe Telegraphie?

Achtung! Hinweise gesucht!

 

Das Bedürfnis, Informationen über weite Entfernungen zu übermitteln, besteht seit Anbeginn der Menschheit. Dafür wurden schon frühzeitig einfache technische Hilfsmittel eingesetzt. Vor der Entdeckung der Elektrizität konnten Nachrichten hauptsächlich nur optisch oder akustisch übermittelt werden, wie z. B. durch Spiegelung des Sonnenlichts oder durch Trommellaute. Voraussetzung hierfür war, dass die zu übertragenden Informationen in eine vereinfachte Form gebracht bzw. codiert wurden.

 

Kupferstich aus Johann Andreas Benignus Bergsträsser: Ueber sein am ein und zwanzigsten Dezember 1784 angekündigtes Problem einer Korrespondenz in ab- und unabsehbaren Weiten der Kriegsvorfälle oder über Synthematographik [...] Zwote Sendung. Hanau: [s.n.], 1785–1788, Tab. II. ETH-Bibliothek Zürich, Rar 2892, https://doi.org/10.3931/e-rara-16500 / Public Domain Mark

 

Bereits im 2. Jahrhundert vor Christus beschrieb der griechische Geschichtsschreiber Polybios (etwa 200 v. Chr. bis 120 v. Chr.) im zehnten Band seiner „Historien“ (Kapitel 45) eine Methode zur Nachrichtenübermittlung mit Fackeln, die nacheinander in bestimmte Zinnen von zwei benachbarten Türmen aufgestellt wurden. Unter Benutzung eines bestimmten Schlüssels konnten durch Zählen der Fackeln auf der rechten und linken Mauer Buchstaben durch den Empfänger entziffert werden. Seit dem 18. Jahrhundert wurden Signalanlagen der optischen Telegrafie in vielen Ländern Europas meist unabhängig voneinander entwickelt. Daher gab es zu jener Zeit zahlreiche unterschiedliche Übertragungstechniken.

 

Lithografie um 1840 mit einer Zusammenstellung verschiedener optischer Telegrafen, darunter Entwicklungen von Johann Ludwig Schmidt, Claude Chappe (1763–1805), George Murray (1761–1803), Barnard L. Watson und Carl Philipp Heinrich Pistor (1778–1847) | Klaus Beyrer: Von Berlin nach Koblenz und zurück. Die preußische optische Telegrafie, in: Klaus Beyrer/Birgit-Susann Mathis (Hg.): So weit das Auge reicht. Die Geschichte der optischen Telegrafie, Karlsruhe 1995, S. 187

 

In der Grafiksammlung des Kunstmuseums Moritzburg Halle (Saale) fiel bei der Digitalisierung der historischen Flugblätter im letzten Jahr eine Grafik besonders auf, die uns aufgrund fehlender Informationen vor Rätsel stellte.

 

o.T., 1795?, Radierung, 228 x 305 mm, Kulturstiftung Sachsen-Anhalt, Kunstmuseum Moritzburg Halle (Saale), Foto: Kulturstiftung Sachsen-Anhalt

 

Die Abbildung zeigt unserer Meinung nach ein Gestell, auf dem mittig ein runder Hohlspiegel steht, vor dem eine brennende Kerze platziert ist. Dabei dürfte es sich um einen sogenannten Spiegeltelegrafen handeln, auch Heliograf genannt. Über das Abdecken oder das Bewegung des Spiegels können unterschiedlich lange Lichtblitze erzeugt werden, durch die – ähnlich dem Morsealphabet – Informationen durch eine vordefinierte Signalcodierung an einen weiter entfernten Beobachter übertragen werden.

Flankiert wird der Hohlspiegel von einem Gerüst, an dem auf sechs Ebenen zwei bis drei Laternen hängen. Diese Variante könnte für die Nachrichtenübermittlung in der Nacht gedacht gewesen zu sein. Mit Zuhilfenahme eines Fernrohrs konnte festgestellt werden, welche Laternen durch eine Kerze erhellt waren. Je nachdem, wie die Anordnung der Lichter war, konnte daraus ein Code generiert und die Nachricht davon abgeleitet werden.

An den Seiten des Podests befinden sich zwei weitere große Aufbauten, mit links vier und rechts drei Ebenen mit angezündeten Feuertöpfen. Deren Sichtbarkeit über eine weite Entfernung war vermutlich ebenfalls für eine nächtliche Nachrichtenübertragung gedacht.

Die Recherchen unserer Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler konnten keine vergleichbaren Gerätschaften in dieser Zusammenstellung ausfindig machen. Ob es sich um tatsächlich einst existierende Telegrafen handelt, scheint daher fraglich. Zu vermuten ist vielmehr, dass es sich um eine theoretische Demonstration der Wirkungsweise der optischen Nachrichtenübermittlung über kurze Entfernungen in der Nacht handelt.

Die rätselhafte Radierung stammt wahrscheinlich aus einem Buch, da die Aufbauten innerhalb der Darstellung mit Buchstaben gekennzeichnet sind, aber die zugehörigen Beschreibungen fehlen. Links unten innerhalb des Bildes könnten die zwei Schriftzeichen als 21 gelesen und folglich als Seitenzahl gedeutet werden.

Handschriftlich in Bleistift wurde links unten auf dem Blatt „Frühe Telegraphie.“ vermerkt. Im Inventarbuch der Grafiksammlung ist unter der Inventarnummer „Darstellung der Telegraphie“ und „Feuerzeichen u. Spiegeltelegrafie“ sowie als Datierung „um 1795" vermerkt. Aus welchem Kontext das Blatt stammte, wurde leider nicht erfasst oder war beim Eingang in die Sammlung bereits nicht mehr bekannt.

Das seltene Blatt wartet folglich noch auf seine sichere Zuordnung. Möglicherweise kann es neue Erkenntnisse zur Entwicklung der Nachrichtenübertragung im 18. Jahrhundert liefern.

Falls Leserinnen oder Leser des Blogs Informationen zu den dargestellten Gerätschaften haben oder Hinweise, aus welchem Buch das Blatt stammen könnte, würden wir uns sehr über eine E-Mail freuen:

katrin.steller(at)kulturstiftung-st.de