28. Januar 2021

Eine Dampfmaschine auf Glas

Entdeckungen #4

 

In den Sammlungen des Kunstmuseums Moritzburg Halle (Saale) gibt es einige Werke, deren Technik nicht eindeutig „in eine Schublade“ passt. Solch ein Werk ist auch Walter Dexels Dampfmaschine – ein faszinierendes Hinterglasgemälde.

 

Wie die Bezeichnung schon verrät, dient hier Glas als Malgrund. Da die unbemalte Seite des Glases die Schauseite ist, werden die Farben – anders als bei anderen Maltechniken – seitenverkehrt und von vorne nach hinten aufgetragen. Begonnen wird mit den Details im Vordergrund, erst zum Schluss wird der Hintergrund gestaltet. Spätere Korrekturen oder Ergänzungen sind dadurch nicht möglich.

Die Technik der Hinterglasmalerei hat eine lange Geschichte. Aus der Antike sind Porträtmedaillons mit Goldfolien hinter bzw. zwischen Glas überliefert. Eines der bekanntesten und ältestes erhaltenen ist die Darstellung einer Frau und zweier Kinder aus der Zeit um 400, das auf das sogenannte Desiderius-Kreuz aus der zweiten Hälfte des 9. Jahrhunderts montiert ist.

 

 

Ab dem 16. Jahrhundert verbreitete sich die Technik über ganz Mitteleuropa. Im 19. Jahrhundert entwickelte sich eine besondere Art der Hinterglasmalerei, die sogenannte „Églomisé“ oder „Hinterglasradierung“, bei der Blattgold- oder Metallfolien auf Glas gebracht, mit Radiernadeln bearbeitet und anschließend mit Lack übermalt werden.

 

Im 16. bis 18. Jahrhundert wurde die Technik der Hinterglasmalerei für Andachts- und Votivbilder genutzt. Davon ausgehend, schufen Laien im späten 18. und 19. Jahrhundert vor allem im süddeutschen Raum und in Österreich, aber auch in Osteuropa massenhaft Hinterglasbilder mit religiösen Motiven in leuchtenden, klar voneinander abgegrenzten Farben.

Das wiederum war verschiedenen Vertretern des Expressionismus, und hier vor allem den Mitgliedern der Künstlergemeinschaft des Blauen Reiter, Inspirationsquelle. Gabriele Münter (1877–1962), Wassily Kandinsky (1866–1944), Franz Marc (1880–1916) und Heinrich Campendonk (1889–1957) schufen Hinterglasmalereien.


Die Geschichte der Hinterglasmalerei war Walter Dexel, der neben der eigenen, autodidaktisch angeeigneten künstlerischen Tätigkeit promovierter Kunsthistoriker war, bekannt. Sein Interesse an der Technik galt einerseits dem handwerklich anspruchsvollen Schaffensprozess, andererseits der makellosen Ästhetik, die seiner Vorstellung davon, dass moderne Kunst alles Individuelle abstreifen solle, entgegenkam. Zwischen 1913 und 1929 schuf er mindestens 60 Hinterglasgemälde. Als Leiter des Jenaer Kunstvereins organisierte Dexel 1923 gemeinsam mit Willi Baumeister (1889–1955) und Erich Buchholz (1891–1972) eine Ausstellung zur konstruktivistischen Malerei. Diese und eine enge Freundschaft mit Theo van Doesburg (1883–1931), dem Gründer der De-Stijl-Bewegung, haben ab den frühen 1920er Jahren auch in Dexels Werk zu einer Hinwendung zum Konstruktivismus geführt, welche durch das 1921 entstandene Hinterglasgemälde Dampfmaschine eingeläutet wurde.

 

Unterschiedliche, klar voneinander abgegrenzte farbige Flächen werden von dem ungewöhnlichen Oval des Bildformates gefangen. Zahlreiche Linien treffen im Zentrum der Bildfläche zusammen und werden von Rundungen überlagert, die das Schwungrad der titelgebenden Dampfmaschine darstellen könnten. Im Gegensatz zu Vertretern anderer konstruktivistischer Malrichtungen beschränkte Dexel sich nicht ausschließlich auf rechte Winkel, sondern ließ unterschiedliche Winkel und zuweilen runde Formen zu.

Es ging Walter Dexel nicht um die Wiedergabe einer Dampfmaschine, sondern vielmehr um die Übermittlung von ihrer unablässigen, kraftvoll rythmischen Bewegung und der so entstehenden Dynamik und Energie. Durch die Verwendung frischer, strahlender Farben und der Leuchtkraft, die sie durch die Hinterglastechnik entfalten, entfernt Dexels Dampfmaschine sich zusätzlich von der gängigen Vorstellung einer Dampfmaschine.

Wer nun neugierig geworden ist und sich Dexels Dampfmaschine ansehen möchte, muss sich auch nach der Wiederöffnung unseres Museums gedulden. Im bayerischen Penzberg wird das Werk bis zum Frühjahr in der Ausstellung „Hinter Glas gemalt. Geheimnis einer Technik“, die zugleich die Ergebnisse eines umfangreichen Forschungsprojektes zur Technik der Hinterglasmalerei vermittelt, gezeigt. Wir freuen uns, dass auch unser Werk in der Vorbereitung der Ausstellung wissenschaftlich untersucht wurde und dort gemeinsam mit zahlreichen Werkbeispielen des 18. bis 21. Jahrhunderts präsentiert wird.

Weitere Informationen zur Sonderausstellung „Hinter Glas gemalt. Geheimnis einer Technik“ im Museum Penzberg

Nach ihrer Rückkehr ist dann Dexels Dampfmaschine wieder wie gewohnt in unsere Sammlungspräsentation integriert.

Weitere Informationen zur Sammlungspräsentation „Wege der Moderne. Kunst in Deutschland im 20. Jahrhundert“

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Museum Penzberg, Einblicke in die Sonderausstellung „Hinter Glas gemalt. Geheimnisse einer Technik“ und in das Forschungsprojekt „Hinterglasmalerei als Technik der Klassischen Moderne 1905–1955“, Youtube-Video

 

 

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Offizielle Web­site des For­schungs­pro­jektes

Hinterglasmalerei als Technik der Klassischen Moderne 1905–1955


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Online-Artikel

Die Hebung gläserner Schätze: Hinterglasmalerei im Museum


Brita Sachs, FAZ.net, 04.01.2018

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Online-Beitrag

Goldradierung "Die büßende Hl. Maria Magdalena"


LETTER Stiftung, 30.06.2014

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