13. August 2021

60 Jahre Berliner Mauer

 

28 Jahre, 2 Monate und 27 Tage teilte die Berliner Mauer eine Stadt. Dieser 13. August 1961 – der Tag des Beginns des Mauerbaus – ist heute 60 Jahre her. Das ist ein Gedenktag. Der sogenannte Zirkeltag, also der Tag, an dem die Berliner Mauer genauso lange nicht mehr stand, wie sie die Stadt in Ost und West teilte, wurde am 5. Februar 2018 begangen. Das ist über drei Jahre her. Das ist das Jubiläum. Wie fasst man 60 Jahre Berliner Mauer in Bilder? Wie in einen Blogbeitrag? Werfen wir einen Blick auf die Fotografien Friedrich Otto Bernsteins, und damit auf eine Fotografen-Biografie, geprägt von der Mauer, beziehungsweise den politischen, subtilen und grundlegenden alltäglichen Veränderungen und Machtverhältnissen, für die sie steht. Die Mauer im Bild ist dabei so wichtig, wie die anderen Bilder, vorher, nachher, ohne Mauer.

 

 

Hier endet der erste Teil des einzigen Städtepuzzles der Welt. Es geht voran. Fuck the pope and smoke dope. Tod der SED. Lieber dick als rot. HINTER DER MAUER AUF DER LAUER SITZT NE KLEINE WANZE SCHAU DIR MAL DIE WANZE AN WIE DIE WANZE SCHIESSEN KANN, komm doch mal rüber! Geh doch mal zur BILD-schönen Mauer rein Fl. Lieber reich als tot. Blöde Mauer. MAUER GO HOME!

 
 

Aus: Conditio Humana, Zusammenstellung der Mauersprüche durch Claus Hebell, Kultuhr, 1984

 

 

Der Fotograf Friedrich Otto Bernstein (1929–1999) fuhr kurz nach den politisch tiefgreifenden Geschehnissen am 13. August 1961 nach West-Berlin, zum Checkpoint Charlie, und machte eine Handvoll Aufnahmen. Von diesen befinden sich neben 25 weiteren Arbeiten zwei Fotografien durch eine private Schenkung in der fotografischen Sammlung des Kunstmuseums Moritzburg Halle (Saale).

Bernstein kennt beide Seiten, sowohl Ost als auch West: Der Diplom-Fotograf studierte zwischen 1948 und 1952 an der Hochschule für Grafik und Buchkunst in Leipzig (HGB) bei Johannes Widmann (1904–1992), der am Institut als einziger Professor für Fotografik ab 1946 eine Reihe von später bekannten Fotografinnen und Fotografen ausbildete, etwa W. G. Schröter (1928–2012), Evelyn Richter (*1930) oder Günter Rössler (1926–2012). Bereits während des Studiums entstanden politische Fotografien. Direkt an der HGB, wo Bernstein den Stalinkult thematisierte, aber auch an der FDJ-Hochschule „Wilhelm Pieck“ am Bogensee, die während des Nationalsozialismus das Landhaus des Reichsministers für Volksaufklärung und Propaganda sowie des Präsidenten der Reichskulturkammer, Joseph Goebbels, war.

 

Friedrich Otto Bernstein: ohne Titel (FDJ-Hochschule „Wilhelm Pieck“ am Bogensee), um 1950, Bromsilbergelatine, 235 x 343 mm, Kulturstiftung Sachsen-Anhalt, Kunstmuseum Moritzburg Halle (Saale), Foto: Kulturstiftung Sachsen-Anhalt © Nachlass Friedrich Otto Bernstein

 

Noch vor dem Ende seines Studiums 1952 fotografierte er in dem Leipziger sozialen Brennpunkt Seeburgstraße, „Seepiepe“ genannt. Der Verfall des Viertels wird deutlich an maroden Hausfassaden, an beengten, einfachsten Wohnverhältnissen, am Schmutz der Stadt. Bernstein stellt aber nicht bloß. Die Gesichter der Menschen zeigen einen starken Willen und trotz allen Elends manchmal auch ein Lächeln. Auch hier ist Stalin präsent.

 

 

Aufträge aus der Werbung und die eigene Passion für Autos und Rennen führten Bernstein nach seinem Studium vermehrt in andere Motivwelten. Für den VEB Automobilwerk Eisenach entstanden so 1958 einige Fotografien des Wartburg 311: Ein glückliches, modisch gekleidetes Pärchen mit Wartburg vor der imposanten Kulisse des Großglockners oder ein feuerroter Wartburg 311 Sport über einen Küstenstreifen brausend, wurden Sujets. Diese Aufnahmen aus dem Bereich Werbung sind, ganz im Gegensatz zu den stillen, dokumentarisch anmutenden politischen Fotografien, zumeist farbig. Die ganze schnittige Pracht fand so ihren Ausdruck. Die Faszination für den Rennsport und Autos ließ Bernstein zeitlebens nicht los.

 

 

DANKE FÜR DIE AUTOBAHN, HELL! John Shannon walks on water, wer über die Mauer schweigt, darf nicht von Chile sprechen. HAUT DEM BAYER IN DIE EIER. RUSSEN? NEIN DANKE. Kaana workers trip to the wall. WER FRÜHER STIRBT IST LÄNGER TOT. MAKE LOVE NOT WAR. Nancy loves Eric. BILD weiss es genauer, wir waren an der Mauer, wer sie nicht kennt, hat die Mauer verpennt. Baut die Mauer in euch selbst ab und sie verschwindet auch hier.

 
 

Aus: Conditio Humana, Zusammenstellung der Mauersprüche durch Claus Hebell, Kultuhr, 1984

 

 

Zwischen 1956 und 1958 war Bernstein Mitglied der Gruppe action fotografie, die Amateur- und Berufsfotografen vereinigte und mit drei Ausstellungen in Leipzig für Aufsehen sorgte. Ziele waren, den Dialog zwischen den Menschen zu fördern und die Fotografie an sich neu zu denken. Jeannette Stoschek schrieb 2016 in ihrem Aufsatz über action fotografie über die politischen Entwicklungen: „Am 26. Mai 1959 gründete sich schließlich in Berlin die Zentrale Kommission Fotografie (ZKF) im Kulturbund, Johannes Widmann ist Vorsitzender, stellvertretende Vorsitzende waren Friedrich Herneck und Gerhard Henniger, die sich schon vielfach zur Situation der Fotografie geäußert hatten. Ziel der ZKF war es, das fotografische Schaffen in der DDR zu koordinieren, zu kontrollieren und politisch-ideologisch anzuleiten. Die politischen Strukturen und Machtmechanismen wurden perfektioniert, um andere künstlerische Vorstellungen und Ideen zu verhindern. Private Initiativen wie die action fotografie wurden nicht mehr geduldet […]“ (S. 6)

Diese Verschärfung der künstlerischen Situation und der auf Bernstein ausgeübte Druck, seine Selbstständigkeit aufzugeben, veranlassten ihn, 1958 die DDR zu verlassen und in Düsseldorf ein neues Atelier aufzubauen. Dort etablierte er sich schnell zu einem gefragten Werbefotografen. Aufträge für Citroën, ILFORD und Leitz folgten. Trotz der guten Auftragslage fuhr er kurz nach dem 13. August 1961 nach Berlin. Es regnete.

 

Friedrich Otto Bernstein: ohne Titel (Checkpoint Charlie, Berlin), nach August 1961, Bromsilbergelatine, 255 x 250 mm, Kulturstiftung Sachsen-Anhalt, Kunstmuseum Moritzburg Halle (Saale), Foto: Kulturstiftung Sachsen-Anhalt © Nachlass Friedrich Otto Bernstein

 

Ein amerikanischer Soldat im Regencape blickt am Grenzübergang Checkpoint Charlie konzentriert durch ein Fernglas. Er steht auf einer Art Mauer, aber es ist nicht DIE Mauer. Dennoch ist es ein schwarzes Ungetüm, das zwei Welten trennt. Der Regen rinnt am Soldatenausguck hinunter und bildet feine Strukturen, fast fühlbar für die Betrachter. Dahinter verschwindet im weißen Regendunst ein Hochhaus. Davor, unscharf festgehalten, ein Soldatenkollege der aus dem Regen zu flüchten scheint. Ohne die Mauer abzubilden, gelang es Bernstein die Dinge, die wir heute damit verbinden, symbolisch darzustellen: Die Zweiteilung, die Kontrolle, die gegenseitige Beobachtung, die Traurigkeit des Regens, das Eingesperrtsein. So auch in der folgenden Fotografie.

 

Friedrich Otto Bernstein: ohne Titel (Mauerbau Berlin), nach August 1961, Bromsilbergelatine, 254 x 255 mm, Kulturstiftung Sachsen-Anhalt, Kunstmuseum Moritzburg Halle (Saale), Foto: Kulturstiftung Sachsen-Anhalt © Nachlass Friedrich Otto Bernstein

 

Die Aufnahme zeigt eine steinerne Häuserfassade mit zugemauerten Fenstern und zwei Balkonen, seltsam leer und ungenutzt, aber DIE Mauer zeigt das Foto nicht. Die Fenster an den Gebäuden entlang der Mauer wurden wegen teils waghalsiger Fluchtversuche von der Ost- auf die Westseite schnellstens zugemauert. Bernstein zeigt auch hier nicht die eigentliche Mauer, sondern ein Symptom, das aber genau die Sachlage beschreibt: Zwei voneinander getrennte Seiten vor und hinter der Fassade, Fluchtversuche, Mauerwerk als Synonym für die Mauer, selbst wiederum eine Metapher für das Eingesperrtsein und die Kontrolle durch die Obrigkeit.

Anders als in Bernsteins Werbefotografie kehrte er für die nicht-Bilder von der Berliner Mauer zurück zur Schwarzweißfotografie. Als einer der vielen, die vor dem Mauerbau nach Westdeutschland geflohen waren, kannte er beide Seiten. Er musste nicht das Offensichtliche foto­gra­fie­ren und doch offenbaren seine Aufnahmen das Offen­sicht­liche. Sie zeigen die einschneidenden Lebensveränderungen der Berliner für 28 Jahre, 2 Monate und 27 Tage.

 

 

WEST IS BEST. AUF DIE DAUER KEINE MAUER. LIFE ISTHEQUESTIONOFMIND AND MATTER- WELL, I DONT MIND AND YOU DONT MATTER. TOM SCOTT. 14. 4. 83. Checkpoint lebt, und er weiss es. KOMMT DOCH RÜBER. SAVE ANDREA DOIA. Birne for President.

DRÜBEN IST HIER.

 
 

Aus: Conditio Humana, Zusammenstellung der Mauersprüche durch Claus Hebell, Kultuhr, 1984

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