09. April 2020

Karl Lagerfeld:
Daphnis und Chloë
2013

#closedbutopen

Lagerfeld ließ sich von Vielem inspirieren und oft war es die Literatur. Legendär ist seine Bibliothek mit mehr als 300 000 Büchern. Ein ganz besonderes Buch war ihm Anregung für seine vielleicht aufwendigste Fotoarbeit – seine fotokünstlerische Inszenierung der antiken Liebeserzählung um die Hirten Daphnis und Chloë.

 

 

Schon die Vorlage selbst ist etwas Besonderes: „Des Longos Hirtengeschichten über Daphnis und Chloë“ (ΛΟΓΓΟΥ ΠΟΙΜΕΝΙΚΩΝ ΤΩΝ ΚΑΤΑ ΔΑΦΝΙΝ ΚΑΙ ΧΛΟΗΝ ΛΟΓΟΣ ΠΡΩΤΟΣist nicht wie in der Antike üblich in gebundener Sprache, also in Versen geschrieben, sondern eine der ganz wenigen reinen Prosaerzählungen. Stilistisch ist die Geschichte zwischen Abenteuerroman und bukolischer Erzählung angesiedelt. Überliefert wurde der Text, den der griechische Dichter Longos Ende des 2. Jahrhunderts nach Christus verfasste in drei Handschriften, dem Codex Vaticanus, dem Codex Florentinus und dem Codex Olomucensis.

Die konkrete Inspiration für Karl Lagerfeld war eine Ausgabe des Buches aus dem Jahr 1939, die der Verlag Hauswedell & Co., Hamburg, herausgab. Dieses Buch enthielt 31 Holzschnitte der Bildhauerin und Grafikerin Renée Sintenis (1988–65), einer bedeutenden Vertreterin der Moderne, die vor allem durch ihre Tierplastiken berühmt geworden ist, darunter der weltbekannte Berliner Bär.

 

Die Holzschnitte in ihrer Zartheit und Reduziertheit waren die Grundlage für Karl Lagerfelds Bildsprache. Mit einem sehr aufwendigen Set inszenierte er die Geschichte, die ihm in der klassischen Übersetzung von Friedrich Jacobs aus dem Jahr 1832 vorlag.

Die beiden Waisenkinder Daphnis und Chloë, die bei Hirten auf der Insel Lesbos aufwachsen, sind in der Erzählung zwischen 14 und 16 Jahre alt und entdecken zögerlich ihr Interesse aneinander und ihre Neugier aufeinander. Schließlich ist das Buch die Erzählung des ersten Entdeckens von Liebe und Sexualität.

Über die Jahrhunderte hat die bezaubernde Geschichte aus der Antike immer wieder Maler, Grafiker, Bildhauer, Fotografen, Komponisten und Choreografen zu eigenen Kreationen angeregt. Besonders beliebt war der Stoff im französischen Rokoko. So entstanden zum Beispiel viele Gemälde, u. a. von Francois Boucher.

In der Moderne ist es vor allem die Komposition von Maurice Ravel, die mit den Mitteln des musikalischen Impressionismus einzigartige Klangbilder erzeugt. Seine Musik wiederum war im 20. und 21. Jahrhundert wiederholt die Vorlage für Ballettschöpfungen bedeutender Choreografen.

Karl Lagerfeld fotografierte seine Bilder in Südfrankreich, in einem Wald bei Ramatuelle. Dorthin zog er mit mehreren Trucks voll mit Schafen, Rindern, allen Ausstattungsstücken, wie antiken Skulpturen und den Kleidern, einem Caterer, einem Team von Make-up-Artists, Beleuchtern, seinen Assistenten und schließlich den Models: Baptiste Giabiconi, Bianca Balti, Abbey Kershaw, Jake Davies und Sébastien Jondeau.

In unserer Ausstellung bildet die Präsentation der Serie Daphnis und Chloë einen der Höhepunkte des Rundgangs: In der großen Box im 2. Obergeschoss des Westflügels erstreckt sie sich über zwei Räume. An der zentralen Eingangswand des ersten Raumes wird in die Geschichte eingeführt. Es ist in einem Rahmen das erwähnte Buch zu sehen, in Textauszügen sind wesentliche Stationen der Handlung nachzulesen und drumherum auf einem Arche-Büttenkarton gedruckt die Rahmenhandlung in der fotokünstlerischen Erzählung Karl Lagerfelds.

In großen Formaten auf silberne Leinwand gedruckt sind an den übrigen Wänden die hochästhetisch inszenierten und durchkomponierten Fotografien Lagerfelds zu sehen, die die beiden Protagonisten allein oder zu zweit oder in einer Gruppe mit anderen Hirten zeigen. Dabei lässt Lagerfeld seine Models immer wieder in sehr artifiziellen Posen agieren, die deutlich machen, dass das alles eine große Inszenierung ist – als würden wir als Zuschauer auf eine Bühne schauen, auf der die Darsteller die Geschichte von Longos zum Besten geben.

Im zweiten Raum sind die auf goldener Leinwand gedruckten Fotografien zu erleben. Der Goldton verleiht den Fotografien eine besondere warme Wirkung. Der Raum wird dominiert von den beeindruckenden Porträts der beiden Hauptdarsteller. Im Zentrum kann man an drei Tischen in dem aufwendig gestalteten und produzierten Buch blättern, das nach Fertigstellung der Fotoserie im Steidl Verlag erschien.

 

Das Video zum Ausstellungsbereich

 

Text: Stephanie Jaeckel, Berlin
Sprecher: Ralf Wendt, Halle (Saale)

 

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