08. Juni 2020

So alt und doch aktueller denn je:
Medizinische Forschung

Weltweit suchen derzeit Wissenschaftler nach einer Lösung zur Bekämpfung von Covid-19. Dass sie das heute auf einem so hohen Niveau tun können, verdanken sie vor allem ihren früheren Ärztekollegen, die schon seit Jahrtausenden versuchen, dem menschlichen Körper all seine Geheimnisse zu entlocken. In unserer Sammlung befindet sich ein ganz besonderes Zeugnis für die Neu- und Wissbegier unserer Vorfahren: das anatomische Modell einer Schwangeren.

 

Anatomische Präparate und Modelle dienten im 17. und frühen 18. Jahrhundert vor allem der Schaulust und Freude an Kuriosem, der Befriedigung von Neugierde und später sicherlich auch naturwissenschaftlichem bzw. medizinischem Interesse. Die wenigen überlieferten ganzfigurigen Modelle von Frauen und Männern zeigen nach dem Abheben der Brust- und Bauchdecke die Form, die Lage und die Größenbeziehungen der inneren Organe. Weibliche Modelle sind fast ausschließlich in hochgradiger Schwangerschaft mit einem Fötus im Uterus überliefert. Diese Modelle sind hauptsächlich in fürstlichen Kunstkammern, aber auch in medizinhistorischen Sammlungen überliefert.

Ob die zierlichen, schlafend wirkenden Damen auch der medizinischen Ausbildung dienten, ist umstritten. Zumindest boten sie in einer Zeit, in der die Teilnahme an Sektionen unüblich war, eine geeignete Anschauung. Sie erscheinen heute wie kostbare Spielzeuge für Erwachsene, die fasziniert in das Innere des Körpers hineinsehen konnten, bis sich ihren Blicken das ungeborene Kind darbot.

Der Nürnberger Anatom und Kaufmann Johann Magnus Volckammer berichtete in seiner 1727 erschienenen Museographia oder Anleitung zum rechten Begriff und nützlicher Anlegung der Museorum, oder Raritäten-Kammern über "bewunderungswürdige Dinge, die vom alten Zicken und seinem Sohn aus Helffenbein gar künstlich gedreht" waren. Die Nürnberger Künstlerfamilie Zick war auf die Herstellung von anatomischen Anschauungsobjekten aus Elfenbein spezialisiert. Sie fertigten ihre Modelle nach der Anschauung in Sektionen.

Unser Exemplar fertigte wohl Stephan Zick (1639–1715). Dafür sprechen die typisch gewinkelten Arme und Beine, die abgespreizten Finger, die ausgebohrten Grübchen an den Fingergelenken und die fast geteilt wirkenden Kniescheiben. Der feine Saum des Kissens dokumentiert die Meisterschaft im Umgang mit dem seltenen und wertvollen Material. Noch im Jahr 1803 konnte man in Nürnberg eine „anatomische schwangere Frau von Helfenbein, 8 Zoll lang” für 13 Gulden kaufen.

Das Modell stammt aus dem Nachlass des 1707 im niederschlesischen Harpersdorf (heute Twardocice, Polen) geborenen und ab 1728 in Halle (Saale) niedergelassenen Obermedizinalrates Johann David Heydrich. Mit der Heirat der Tochter des halleschen Pfänners und Oberbornmeisters Gebhard Gottlieb Grundmann (1664–1742) im Jahr 1735 etablierte er sich in der gehobenen Gesellschaft der Saalestadt. Sein Nachfahre, der in Liegnitz praktizierende Arzt und königlich-preußische Sanitätsrat Erwin Heydrich (Hochzeit mit Helene Sattig im Jahr 1906), stiftete das Modell am 16. Mai 1913 im Rahmen des Empfangs der Stadt Halle (Saale) anlässlich des Kongresses deutscher Gynäkologen auf dem Ersten Deutschen Medizinischen Fakultätentag in der Moritzburg dem Museum.

 

Auch wenn die Sammlungen des Kunstmuseums Moritzburg Halle (Saale) nicht aus einer Schatzkammer hervorgegangen sind, bieten sie doch eine ganze Reihe von interessanten Schatzkunstobjekten, die aus edlen Materialien in bis heute faszinierenden Techniken gearbeitet sind. Bei einem Besuch in der Studiensammlung Kunsthandwerk & Design lassen sich weitere Kleinodien und Pretiosen entdecken.

Weitere Informationen zur Studiensammlung
Kunsthandwerk und Design