03. September 2020

Rückkehr zweier Werke von
Max Liebermann

Die Bilder zeigen schon die für Liebermann charakteristische Energie der Pinselführung, den wunderbaren Reiz des einzelnen Farbtones […] und die Sicherheit, mit der in wenigen Strichen das Wesentliche der Erscheinung festgehalten wird.

Beschreibung zweier Werke von Max Liebermann im Ausstellungsführer durch die Sammlungen des Kunstmuseums Moritzburg Halle (Saale) von 1913

Am 14. Mai 1938 befürwortete der hallesche Dezernent für das „Moritzburg-Museum“, Stadtschulrat und Gaukulturwart Bernhard Grahmann, einen Antrag des damaligen Direktors des Kunstmuseums Moritzburg Halle (Saale), Hermann Schiebel, bezüglich der Aussonderung zweier Gemälde von Max Liebermann (1847–1935) mit folgenden Worten:

 

Der Ankauf bzw. Austausch der zwei Bilder von Max Liebermann wird von mir befürwortet. Das Bild von Schleich d. Ä. ist ein sehr wertvolles Gemälde, das zur Abrundung unserer Sammlung erforderlich ist.

Die abzugebenden beiden Bilder von Liebermann sind für uns als Ausstellungsstücke nicht mehr verwendbar, da Liebermann Jude ist.

Bernhard Grahmann in einem Brief an Hermann Schiebel, 14. Mai 1938

 

Die beiden Gemälde Venezianische Gasse nach links (1878) und Alte Frau an der Haustür (1878) wurden der Galerie Franke in Leipzig in Zahlung gegeben und im Tausch mit zusätzlichen 1500 Reichsmark die Ölstudie Erntewagen in bayrischer Voralpenlandschaft (1863) von Eduard Schleich d. Ä. (1812–1874) gekauft.

Gestern kehrten die genannten beiden Werke Max Liebermanns 82 Jahre nach ihrer Aussonderung aus der Museumssammlung als Dauerleihgaben erstmals wieder an das Kunstmuseum Moritzburg Halle (Saale) zurück und wurden in die Sammlungspräsentation integriert.

Weitere Informationen zur Sammlungspräsentation
WEGE DER MODERNE

 

Auffindung der Liebermann-Gemälde

Durch Zufall stieß im Dezember 2019 eine Museumsmitarbeiterin bei einer Internetrecherche in einem Auktionsportal auf den Verkauf des kleinformatigen Liebermann-Gemäldes Alte Frau an der Holztür (1878) beim Wiener Auktionshaus Im Kinsky im Juni 2019. Dieses Gemälde gehörte seit 1900 zur Sammlung des Museums und war 1938 verkauft worden.

Der zufällige Fund verstärkte den Wunsch des Direktors Thomas Bauer-Friedrich, auch nach dem vierten Liebermann-Gemälde Venezianische Gasse nach links (1878) zu forschen, das ebenfalls einst in der Museumssammlung war und 1938 verkauft wurde. Und tatsächlich stieß er bei weiteren Recherchen auf dieses Werk, das bereits im September 2011 vom Auktionshaus Koller in Zürich versteigert worden war. Daraufhin wurden beide Auktionshäuser angeschrieben und um Vermittlung der Kontaktaufnahme zu den heutigen Eigentümern gebeten. Die Gespräche mit beiden Eigentümern in den zurückliegenden Monaten führten dazu, dass beide Gemälde nun, 82 Jahre nach ihrem Verlust, als Leihgabe in das Kunstmuseum Moritzburg Halle (Saale) zurückkehren. Damit sind nunmehr auf Zeit alle vier Gemälde des bedeutenden deutschen Impressionisten, die das hallesche Kunstmuseum bis 1933 erworben hatte, wieder vereint und zusammen in der Sammlungspräsentation Wege der Moderne. Kunst in Deutschland im 20. Jahrhundert zu erleben.

Aufbau der Liebermann-Sammlung

Die beiden kleinformatigen Gemälde aus dem Jahr 1878 sind die ersten beiden Werke Max Liebermanns (1847–1935), die das Museum erwarb. Die Alte Frau an der Haustür wurde 1900 von dem Berliner Kunsthändler Alexander Pribil angekauft; im selben Jahr schenkte der Museumsverein die Venezianische Gasse dem Museum. Die beiden nach 82 Jahren zurückgekehrten Gemälde machten somit 1900 den Auftakt der Liebermann-Sammlung des gerade 15 Jahre jungen Museums. Sie wurden vom ersten Museumsleiter, Franz Otto (1832–1901), erworben und mit den Nummern 159 und 160 in das Inventar des Museums aufgenommen. Im Jahr der Erwerbung konstatierte Otto:

 

Im neuen Jahrhundert wird eine neue Generation in unsern Mauern mit steigender Erkenntnis die Förderung der Künste anstreben, das Museum zu einer reichen Bildungsstätte erweitern, und unsere Anfänge werden wenigstens das Verdienst beanspruchen können, die Grundlage dazu gebildet zu haben.

Franz Otto, Kurator des Kunstmuseums Moritzburg Halle (Saale), 1900

Das von Otto Begründete erweiterte sein Nachfolger Max Sauerlandt (1880–1934) ab 1908 im Sinne des von ihm angestrebten Aufbaus einer Sammlung der zeitgenössischen Moderne. Schon 1909 erwarb er aus den Mitteln der halleschen Reinhold-Steckner-Stiftung die Ölstudie Weberei in Laren (1896), 1910 folgte als Schenkung des Dargestellten das Porträt Friedrich Kuhnt. 1913 erwarb er ein repräsentatives Konvolut von 11 Arbeiten auf Papier: 2 Pastelle, 1 Aquarell, 7 Zeichnungen und 1 Druckgrafik. Damit bildete die hallesche Liebermann-Sammlung mit ihren 15 Werken bis 1937 wesentliche Etappen der künstlerischen Entwicklung des Hauptvertreters des deutschen Impressionismus ab.

Mehr Informationen zur Reinhold-Steckner-Stiftung
(PDF-Datei / 2,36 MB)

 

Verlust der Liebermann-Sammlung

War Max Liebermann in der Weimarer Republik ein in der Kunstwelt und vor allem in seiner Heimatstadt Berlin gewürdigter und hoch geschätzter Bürger und Künstler und noch 1932 zum Ehrenpräsidenten der Preußischen Akademie der Künstler ernannt worden, änderte sich dies mit der Machtübernahme der Nationalsozialisten im Januar 1933. So sah z. B. Paragraph 3 des „Gesetzes zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums“ vom 7. April 1933 vor, dass Beamte nicht-arischer Abstammung in den Ruhestand und jüdische Ehrenbeamte aus dem Amt zu entlassen seien. Zwar waren die Mitglieder der Preußischen Akademie der Künste keine Beamten, doch wurde das Gesetz auch auf sie angewendet. Liebermann kam der Entlassung zuvor und legte das Amt am 7. Mai 1933 selbst nieder.

 

Nach meiner Überzeugung hat Kunst weder mit Politik noch mit Abstammung etwas zu tun, ich kann daher der Preußischen Akademie der Künste, deren ordentliches Mitglied ich seit mehr als dreißig Jahren und deren Präsident ich durch zwölf Jahre gewesen bin, nicht länger angehören, da dieser mein Standpunkt keine Geltung mehr hat.

Max Liebermann zur Niederlegung seines Amtes als Ehrenpräsident der Preußischen Akademie der Künstler am 7. Mai 1933

Zwei Jahre später, im Februar 1935, verstarb Max Liebermann. Seine Witwe, Martha Liebermann, litt in den nachfolgenden Jahren immer stärker unter der Ausgrenzung jüdischer Mitbürger aus der Gesellschaft. Im März 1943 entzog sie sich der angekündigten Deportation in das KZ Theresienstadt durch den Freitod.

Die 1933 einsetzende systematische Hetze gegen jüdische Bürger und die Ausgrenzung jüdischer Künstler aus Anstellungen und ihre Entlassung aus beruflichen Positionen führte auch unter den Museumsdirektoren zu Unsicherheiten, ob Werke lebender jüdischer Maler, etwa von Max Liebermann, noch öffentlich ausgestellt werden durften. Auf der anderen Seite sahen sich deutsche Museen mit Anfragen von Galerien konfrontiert, die aus den Museumsbeständen Werke von Liebermann kaufen oder tauschen wollten.

So war es auch in Halle (Saale) der Fall: Nachdem bei der Aktion „Entartete Kunst“ im Sommer 1937 fast die gesamte Sammlung moderner Kunst aus dem Museum beschlagnahmt wurde, blieb die Liebermann-Sammlung des Museums glücklicherweise davon verschont. Wenig später jedoch setzte der Verkauf bzw. Tausch der Werke durch das Museum selbst ein. Vorangegangen war die Diktion des Erziehungsministers Bernhard Rust am 2. August 1937 auf einer Tagung der Museumsleiter, „Liebermann weg[zu]hängen“. Dieser Vorgabe folgte der amtierende Direktor des halleschen Kunstmuseums, Hermann Schiebel, bereitwillig. So war es nur ein kleiner Schritt, die Werke nicht nur zu deponieren, sondern auch zu veräußern: Die erste Transaktion führte zum Verlust der beiden kleinformatigen Gemälde, die nun, seit über 80 Jahren, wieder zurückkehren.

 

Der Leipziger Kunstsalon Franke bot im Frühjahr 1938 ein kleines Gemälde Erntewagen in Bayerischer Voralpenlandschaft von Eduard Schleich dem Älteren (1812–1874) zum Preis von 2.500 RM an. Um das Bild für die Sammlung der Malerei des 19. Jahrhunderts zu erwerben, schlug Schiebel der Stadtverwaltung vor, die beiden Liebermann-Gemälde für den Preis von 1.000 RM bei der Galerie in Zahlung zu geben. Der Tausch wurde von der Stadtverwaltung genehmigt, weil „die abzugebenden beiden Bilder von Liebermann für uns als Ausstellungsstücke nicht mehr verwendbar [sind], da Liebermann Jude ist.“ Der Museumsdirektor konstatierte nach Abschluss der Transaktion: „Es war für uns ein gutes Geschäft, die minderwertigen Bilder des Juden L. – für die das Museum 315,- RM gezahlt hatte – für 1.000,- loszuwerden!“.

Im Juni desselben Jahres wurden die beiden Liebermann-Pastelle aus der Sammlung ebenfalls bei Franke in Leipzig gegen die Bleistiftzeichnung einer Tänzerin von Carl Spitzweg (1808–1885).

Der Damm war gebrochen und in der Folge wurden alle anderen Liebermann-Werke der Sammlung verkauft oder eingetauscht. Auch um das großformatige Porträt, das den halleschen Baumeister Friedrich Kuhnt darstellt, wurden Verkaufsverhandlungen geführt. Es wurde zusammen mit vier weiteren Werken aus der Museumssammlung schließlich 1943 einem Kunsttransport des Einsatzstabs Reichsleiter Rosenberg, der in Halle (Saale) zwischenlagerte, nach Schloss Kogl im Attergau beigegeben. Mit dem Ende des Krieges war es dort von den Amerikanern sichergestellt und in den Central Collecting Point in München überführt worden. Sogleich nach dem Ende des Krieges blieben Verhandlungen zur Rückführung des Gemäldes erfolglos. Erst 1988 kehrte es im Rahmen des Kulturabkommens zwischen der ehemaligen DDR und der Bundesrepublik Deutschland nach Halle (Saale) zurück.

 

Ausblick

Bis zur Eröffnung der Sonderausstellung Bauhaus Meister Moderne. Das Comeback (2019/20) galten 13 der 14 zwischen 1938 und 1943 veräußerten Liebermann-Werke als unbekannt in ihrem Verbleib.

Weitere Informationen zur Sonderausstellung
BAUHAUS MEISTER MODERNE. DAS COMEBACK

In Vorbereitung der Ausstellung konnten 2019 zwei Werke in Privatbesitz recherchiert werden, sodass die große Sammlungsrekonstruktion folgende Liebermann-Werke präsentierte:

  • „Porträt Friedrich Kuhnt“, 1910, Öl auf Leinwand, Museumseigentum
  • „Weberei in Laren“, 1896, Kohle auf Papier, Privatbesitz
  • „Weberei in Laren“, 1896, Öl auf Pappe, Hamburger Kunsthalle
  • „Strand mit Fahnen“, 1908, Pastell auf Papier, Privatbesitz – seither als Dauerleihgabe im Museum

Das Pastell Strand mit Fahnen konnte als Dauerleihgabe für das Museum gesichert werden. Seit 2. September 2020 sind nunmehr die folgenden fünf Werke dauerhaft im Museum vereint:

  • „Porträt Friedrich Kuhnt“, 1910, Öl auf Leinwand, Museumseigentum
  • „Weberei in Laren“, 1896, Öl auf Pappe, Leihgabe der Hamburger Kunsthalle
  • „Alte Frau an der Haustür“, 1878, Öl auf Leinwand auf Karton auf Holz, Leihgabe aus Privatbesitz, Berlin
  • „Venezianische Gasse“, 1878, Öl auf Leinwand auf Karton, Leihgabe der Sammlung Bönsch
  • „Strand mit Fahnen“, 1908, Pastell auf Papier, Leihgabe aus Privatbesitz (aus konservatorischen Gründen nicht ausgestellt)