5. Juni 2025
Rita Gründig (1939–2025)
Ein Nachruf

Rita Gründig (*1939) verstarb am 5. Mai 2025 im Alter von 85 Jahren in Halle. Sie leitete über 41 Jahre, von 1963 bis 2004, die kunsthandwerklichen Sammlungen des Glases und der Keramiken des Kunstmuseums Moritzburg Halle (Saale) und prägte als Abteilungsleiterin Sammlungen die Geschicke des Museums mit. Mit großem Engagement und einer weithin anerkannten Expertise erweiterte sie die kunsthandwerklichen Sammlungen substanziell und prägte deren Profil und Potential nachhaltig.
Die im Jahr 1959 erstmals eingerichtete Stelle für die Sammlungen Glas und Keramik trat Rita Gründig nach ihrem Studium der Kunstgeschichte und Afrikanistik an der Humboldt-Universität Berlin am 1. August 1963 an. Ihre Arbeitsschwerpunkte bildeten eine Vielzahl verschiedenster Ausstellungen und Forschungen, die Aufrechterhaltung und Verstärkung der internationalen Vernetzung des Museums sowie eine akribische dokumentarische Erschließung tausender einzelner ihr anvertrauter Werke.
Ausstellungen (Auswahl)
1964/1965 | Die Burg Giebichenstein 1915–1933 | |
1966 | Modernes Porzellan aus Wallendorf | |
1970/1971 | Erika Gravenstein und Astrid Lucke | |
1973/1974 | Kunst und Kunsthandwerk von 1800 bis 1850 und 1850 bis 1900 | |
1973 | Rosemarie und Werner Rataiczyk | |
1974 | Hans Merz | |
1975 | Bürgeler Keramik | |
1975 | Venezianisches Glas | |
1975 | Getraud Schaar | |
1976 | Böhmisches Glas | |
1979 | Glas aus Lauscha | |
1979 und 1984 | Ilse Scharge-Nebel und Otto Scharge | |
1980–1982 | Meißner Porzellan | |
1982 | Malerei und Kunsthandwerk des 17. und 18. Jahrhunderts | |
1984 | Tafelgerät aus fünf Jahrhunderten | |
1984 und 1989 | Design der DDR | |
1986 | Keramik der Kunstschule Burg Giebichenstein 1922–1960 | |
1987 | Kleine Kunstwerke des 18. und 19. Jahrhunderts | |
1988/1989 | Kunsthandwerk in Halle | |
1988/1989 | Karl Müller | |
1989 | Gertraud Möhwald 1989 (auch in Berlin, Leipzig und Kassel) | |
1992 | Geschirr für Kaffee und Tee |
1993 | Burg Giebichenstein. Die hallesche Kunstschule von den Anfängen bis zur Gegenwart (Halle und Karlsruhe) | |
1995 | Fayencen | |
1995 | Trinkgefäße | |
1996/1997 | Antje Scharfe | |
1997 | Porzellane deutscher Manufakturen | |
1997 | Kannen | |
2000 | Masahiro Mori. Zeitgenössisches Porzellandesign aus Japan | |
2001 | Gutes Gefäßdesign in Deutschland seit 1950. Aus den Sammlungen | |
2002 | Aspekte der Moderne. Keramik aus der Sammlung Jakob Wilhelm Hinder und Lotte Reimers | |
2002 | Deutsche Keramik 1900–2000 | |
2003 | Ästhetik des Funktionalen. Glasdesign von Marlies Ameling | |
2003 | Erde und Feuer – Keramik. Eine Stiftung des 2. Internationalen Symposiums 2001 im Künstlerhaus 188 e.V. für das Landeskunstmuseum | |
2003/2004 | Halle – Ein Zentrum für angewandte Kunst in Mitteldeutschland. Beispiele aus der Sammlung der Moritzburg | |
2004 | Glas? KUNST! Aus Amerika, Europa und Japan. Studioglas aus einer Privatsammlung |
Bereits im ersten Arbeitsmonat hatte sie Kontakt zum „Comité International pour les Musées et Collections de Verre“ im International Council of Museums (ICOM) sowie zum Corning Museum of Glass (New York), um die hallesche Sammlung in das weltweite Verzeichnis der Glasmuseen aufzunehmen. 1977 wirkte sie in der Redaktionskommission für das Bulletin Nr. 7 der „L'Association internationale pour l'histoire du verre" (A.I.H.V.) mit, deren Kongress 1978 in Berlin, Leipzig und Halle stattfand. In den Gotischen Gewölben der Moritzburg stellte sie etwa 600 Gläser für die internationale Fachwelt aus. Zwei Publikationen dokumentieren den weltweiten fachlichen Austausch in einer aufgrund der politischen Spaltung der Welt auch für das Museum schwierigen Zeit. Es war nach dem Zweiten Weltkrieg der erste internationale wissenschaftliche Kongress, an dem das Kunstmuseum Moritzburg Halle (Saale) aktiv gestaltend mitwirkte.
Ein anderes Beispiel ihres Wirkens ist die im Jahr 1979 von ihr kuratierte Ausstellung zu Grafik, Glas und Keramik der DDR für das Kultur-und Informationszentrum der DDR im tschechoslowakischen Bratislava, die anschließend auch im Museum in Trnava präsentiert wurde. Ebenfalls von einer umfänglichen Ausstellung begleitet, richtete sie im Jahr 1996 die Jahrestagung des Fachausschusses V der Deutschen Glastechnischen Gesellschaft (DGG) aus. Über viele Jahre wirkte sie in der DGG aktiv mit und stärkte so den Bekanntheitsgrad der Sammlung und die Ausstrahlung des Museums.


Bemerkenswert sind die über die Jahrzehnte ihres Wirkens erfolgten Erwerbungen. Ihr gelang es, eine bedeutende Sammlung moderner und zeitgenössischer Keramik aufzubauen. Ankäufe bei Gustav Weidanz erfolgten bereits in ihrem ersten Arbeitsjahr 1963. Im Jahr 1965 gelang der Erwerb von Arbeiten von Marguerite Friedlaender. Im Jahr 1985 schenkte Erika Gravenstein eine Gruppe an Vasen, Krügen, Schalen und Geschirren von Hubert Griemert aus den 1940er Jahren sowie Arbeiten von ihr selbst aus der Zeit zwischen 1950 und 1966. Zu den wichtigen Ankäufen gehört auch die umfangreiche Kollektion moderner Keramiken außergewöhnlicher Qualität aus Berliner Privatbesitz im Jahr 2000, mit der neben den halleschen Positionen wesentliche Werke vieler wichtiger anderer Keramiker die Museumssammlung abrundeten.


Mit signifikanten Werken und Werkgruppen von Ute Brade, Marlis Lischka, Ute Lohse, Gerd und Astrid Lucke, Heidi Manthey, Gertraud Möhwald, Renée Reichenbach, Antje Scharfe, Anne Viecenz, Beate Zeiss und vielen anderen bietet die Sammlung mehr als einen repräsentativen Überblick über die Entwicklung der halleschen Keramikkunst der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts und dokumentiert die Wirkung der Kunsthochschule Burg Giebichenstein als herausragendes Zentrum der angewandten Kunst in Deutschland. Die Entwicklung von der zweckgebundenen Gebrauchsform zur freien und plastischen Formsprache in der angewandten Kunst kann auch mit Werken von Lotte Reimers oder Gerd Knäpper nachvollzogen werden. Hier sind auch die durch sie erworbenen Werkgruppen von Walter Gebauer, Wolfgang Henze, Heiner und Lisa Körting, Karl Jüttner, Sabine Müller, Herbert Naumann, Rudolf Kaiser, Aga Honigberger, Johannes Urban, Rolf-Rüdiger oder Margret Weise zu nennen.

Gleiches gilt für die Sammlung des Glases. In diesem Bereich sind insbesondere die Werke von Volkhard und Renate Precht, Ulrike und Thomas Oelzner oder von Marita Voigt und Jens Gussek zu erwähnen. Mit der von ihr am 21. April 2004 eröffneten Ausstellung internationalen Studioglases aus Europa, Japan und Amerika unter dem Titel „Glas? Kunst!“ aus einer Berliner Privatsammlung konnte sie noch einen letzten entscheidenden Akzent für die Sammlungsentwicklung setzen. Der vollständige Erwerb der 160 Werke umfassenden Sammlung sollte sich über etwa 10 Jahre erstrecken. Es war „eine ideale Ergänzung unseres historischen Glasbestands“ und „ein außerordentlicher Glücksfall“, sagte Rita Gründig zur Eröffnung.


Parallel zur Sammlung künstlerischer Unikate legte Rita Gründig den Grundstein für die Anlage einer Sammlung von Gefäßdesign. So stiftete Richard Süssmuth (Immenhausen) 1966 aufgrund von Kontakten auf der Leipziger Messe eine kleine Gruppe von Gläsern dem Museum. Auch Porzellanservices der ostdeutschen Manufakturen in Colditz, Kahla und Freiberg, für deren Produktion unter anderem die bekannten Formgestalter Ilse Decho, Horst Michel und Astrid Lucke entwarfen, wurden genauso wie anspruchsvolle Entwürfe von jungen Formgestaltern für die Steingutfabriken Elsterwerda und Annaburg in die Sammlung aufgenommen. Das von Ilse Decho für Jenaer Glas gestaltete Teeservice oder die Pressglassätze „Luzern" von Margarete Jahny und „Europa" von Margarete Jahny und Erich Müller sind Inkunabeln der deutschen Designgeschichte. Im Jahr 1966 richtete Rita Gründig die weit beachtete Ausstellung „Modernes Porzellan aus Wallendorf" aus. Hier konnte erstmals die gesamte Produktpalette der Studiolinie eines DDR-Betriebes, die parallel zur Serienproduktion gefertigt wurde, präsentiert werden. Formgestalter wie Hubert Petras, Margarete Jahny, Hans Merz, Ludwig Zepner oder Gottfried Stöhr konnten in Wallendorf ihre Entwürfe genauso umsetzen wie die Bildhauer Waldemar Grzimek, Gustav Weidanz, Peter Strang oder Eberhard Roßdeutscher. Darüber hinaus gelangen Erwerbungen aus der Rosenthal-Studio-Linie, der Studioabteilung der Meißner Porzellanmanufaktur oder von Marlies Ameling für die Glashütte Derenburg.


Die konzeptionelle Erweiterung der kunsthandwerklichen Sammlung auf das beispielhafte industrielle Design war ein entscheidender Schritt für das Sammlungs- und Museumskonzept. Der weitgefasste Designbegriff von Walter und Thomas Dexel inspirierte den Ausbau dieses Schwerpunktes. So kann die Entwicklung der Gestaltungsprinzipien in der Manufaktur- und Industrieproduktion heute mit den Beständen vom 18. Jahrhundert bis zum Beginn des 21. Jahrhunderts veranschaulicht werden. Dieses Sammlungskonzept führte auch zur Berufung von Rita Gründig durch das Deutsche Amt für Meßwesen und Warenprüfung Ilmenau in den Gutachterausschuss Feinkeramik am 1. März 1967. Sie nahm diese Aufgabe der gestalterischen Beratung der Industrie bis 1974 wahr und arbeitete dort mit den bekanntesten Formgestaltern in der damaligen DDR intensiv zusammen.


Die Designsammlung wurde nach 1990 durch den Erwerb von Gläsern Wilhelm Wagenfelds, Richard Süssmuths und Heinrich Löffelhardts aus den fünfziger bis siebziger Jahren erweitert, um die Trends, Arbeitsweisen und die künstlerischen Ansprüche in Ost- und Westdeutschland beispielhaft belegen zu können. Der Erwerb westdeutscher Positionen aus der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts war auch für die anderen Sammlungsbereiche eine Herausforderung dieser Jahre. Die durch die deutsche Teilung entstandenen Lücken konnten damit geschlossen werden.
Die Veröffentlichungen von Rita Gründig belegen auch ihr weit gefasstes Interesse für das historische Kunsthandwerk. Sie forschte beispielsweise zu den Wedgwood-Keramiken, zur Keramik des Spätmittelalters und der Frührenaissance sowie zu den Fayencen des 18. Jahrhunderts.
Veröffentlichungen (Auswahl)
Modernes Porzellan aus Wallendorf, Ausstellungskatalog, Staatliche Galerie Moritzburg Halle, Halle 1966. Zusammenstellung und Bearbeitung: Rita Gründig und Joachim Uhrbach.
Bürgeler Keramik. Ausstellungskatalog, Staatliche Galerie Moritzburg Halle, bearbeitet von Rita Gründig und Karin Volland, Halle (Saale) 1975.
Rita Gründig: Die Glassammlung der Staatlichen Galerie Moritzburg Halle. In: Bulletin de L'Association internationale pour l'histoire du verre Nr. 7. 1973–1976, Liege 1977.
Rita Gründig: Glas aus zwei Jahrtausenden. Bestände der Galerie von 700 v.d.Z. bis 1975, Ausstellungskatalog, Staatliche Galerie Moritzburg Halle, Halle 1977.
Brigitte Mahn-Diedering. Glas, Metall, Holz, Porzellan, Ausstellungskatalog, Staatliche Galerie Moritzburg Halle, bearbeitet von Rita Gründig, Hrsg. Hochschule für industrielle Formgestaltung-Burg Giebichenstein, Halle 1983.
Rita Gründig: Zur Bedeutung des halleschen Kunsthandwerks, dargelegt am Beispiel der Keramikerin Gertraud Möhwald. In: Galeriespiegel, Staatliche Galerie Moritzburg Halle 4/1984.
Rita Gründig: Fayencen und Porzellane des Barock aus den Sammlungen der Staatlichen Galerie Moritzburg Halle. Ausstellungskatalog, Spengler Museum Sangerhausen, Sangerhausen 1984.
Rita Gründig: Keramik aus der Kunstschule Burg Giebichenstein Halle, 1922 bis 1960, aus eigenen Beständen. In: Galeriespiegel, Staatliche Galerie Moritzburg Halle 3/1986.
Rita Gründig: Industrieformen in Glas und Keramik. Neuerwerbungen von Hans Merz. In: Galeriespiegel, Staatliche Galerie Moritzburg Halle 3/1989.
Burg Giebichenstein. Die hallesche Kunstschule von den Anfängen bis zur Gegenwart. Ausstellungskatalog, Staatliche Galerie Moritzburg Halle und Badisches Landesmuseum Karlsruhe, mit Beiträgen zum Kunsthandwerk von Angela Dolgner, Rita Gründig, Eva Mahn, Katja Schneider und Christine Triebsch, Halle 1993.
Rita Gründig und Ulf Dräger: Ilse Scharge-Nebel, Glas. Otto Scharge, Schmuck, Ausstellungskatalog, Staatliche Galerie Moritzburg Halle, Halle 1994.
Rita Gründig: Zur Gruppe der Wedgwood-Keramiken in den kunsthandwerklichen Sammlungen der Staatlichen Galerie Moritzburg Halle. In: Josiah Wedgwood 1795–1995. Englische Keramik in Wörlitz. Ausstellungskatalog, Staatliche Schlösser und Gärten Wörlitz, Leipzig 1995.
Rita Gründig und Ulf Dräger: Kunsthandwerk und Design, Bestandskatalog Erste Hälfte 20. Jahrhundert, Band 1, Zur Geschichte der Sammlung, Staatliche Galerie Moritzburg Halle, Halle 1997.
Christina Bake: Kunsthandwerk und Design, Bestandskatalog Erste Hälfte 20. Jahrhundert, Band 2: Porzellan, Hrsg. Rita Gründig und Ulf Dräger, Staatliche Galerie Moritzburg Halle, Halle 1997.
Gertraud Möhwald: Keramik, Ausstellungskatalog, Hrsg. Rita Gründig, Staatliche Galerie Moritzburg Halle, Staatliche Museen zu Berlin und Grassimuseum Leipzig, Halle 1989.
Heidi Manthey: Keramik, Ausstellungskatalog, Hrsg. Rita Gründig, Staatliche Galerie Moritzburg Halle, Halle 1999.
Antje Scharfe: Keramik, Ausstellungskatalog, Hrsg. Rita Gründig, Staatliche Galerie Moritzburg Halle, Halle 1999.
Gertraud Möhwald: Keramik, Ausstellungskatalog, Hrsg. Rita Gründig, Staatliche Galerie Moritzburg Halle, Staatliche Museen zu Berlin und Grassimuseum Leipzig, Halle 1989.
Rita Gründig und Hans-Dieter Roethe: Lettiner Porzellan. Zur Geschichte einer mitteldeutschen Porzellanfabrik, Ausstellungskatalog, Staatliche Galerie Moritzburg Halle, Halle 2001.
Rita Gründig: Keramik. Rheinisches und Westerwälder Steinzeug. Deutsches Waldglas und venezianisches Luxusglas, in: Die Güter dieser Welt“- Schätze der Lutherzeit aus den Sammlungen der Moritzburg Halle, (Begleitband zur gleichnamigen Ausstellung in der Lutherhalle Wittenberg, Stiftung Luthergedenkstätten in Sachsen-Anhalt, 7.6.–31.10.2000), Halle, Staatliche Galerie Moritzburg Halle, 2000, S. 78–85.
Rita Gründig hat mit herausragender Kennerschaft die Sammlung des Kunstmuseums Moritzburg Halle (Saale) über viele Jahre mitgestaltet und erweitert, hat sie in ihrer Breite wissenschaftlich erschlossen und legte damit eine sehr gute Grundlage für die Zukunft. Mit ihren vielfältigen Ausstellungen verstand sie es, immer wieder Akzente zu setzen. Ihre Arbeitsergebnisse haben für die Museumsgeschichte eine bleibende Bedeutung.
