27. April 2020
Faszination fernöstlicher Präzision und Farbenfreude
Zum Welt-Grafiker-Tag 2020
#closedbutopen
Entdeckungen in der eigenen Sammlung
Der japanische Farbholzschnitt begeisterte seit der Mitte des 19. Jahrhunderts europäische Sammler und Künstler der Moderne gleichermaßen und fasziniert bis heute. Auch uns! Denn 2018 identifizierten wir in unserer Grafischen Sammlung ein Konvolut japanischer Holzschnitte und Tuschezeichnungen, das bis dahin unbeachtet geblieben war. Die Werke stammen zum Teil aus den frühen Jahren des Museums und sind Erwerbungen der 1890er Jahre. Sie wurden noch nie präsentiert oder publiziert.
Die derzeitige Beschäftigung mit den 99 Blättern zeigt, dass es sich um eine zwar kleine, aber sehr wohl repräsentative Sammlung handelt. Unter den bisher identifizierten Künstlern befinden sich u. a. Keisai Eisen (1790–1848), Utagawa Hiroshige (1797–1858), Totoya Hokkei (1780–1850), Katsushika Hokusai (1760–1849), Toyohara Kunichika (1835–1900), Utagawa Kunisada (1786–1865), Utagawa Kunisada II. (1823–1880), Ogata Gekko (1859–1920) und Kubo Shunman (1757–1820).
Exemplarisch spiegeln diese Blätter den Themenkanon des japanischen Farbholzschnittes wider, der sich unter dem Begriff Ukiyo-e – Bilder der vergänglichen Welt – fassen lässt. Neben den Darstellungen schöner Frauen (Bijinga), Heldengeschichten, Blumen- und Tierdarstellungen (Kachōga), Landschaften (Fūkeiga) und Buchillustrationen, befinden sich unter ihnen auch Schauspielerporträts und Darstellungen des Kabuki-Theaters (Yakusha-e). Eine besondere Form stellen die Surimonos dar, private Luxusdrucke, die in äußerst kleinen Auflagen sehr kostspielig hergestellt wurden.
Ein ertragreicher Kulturtransfer
Wie der europäische Holzschnitt ist auch der japanische ein Hochdruckverfahren und wird in ähnlicher Weise hergestellt. Allerdings hat der japanische Holzschnitt eine längere Tradition. Bereits im 6. Jahrhundert gelangte er mit dem Buddhismus und anderen Kulturformen aus China nach Japan. Seine künstlerische Blütezeit setzte im 17. Jahrhundert zunächst mit Schwarzweiß-Drucken ein. Im 18. Jahrhundert wurden die ersten Farbholzschnitte gedruckt. Im 19. Jahrhundert wurden sie zu einem vielfältigen Massenmedium.
Zur selben Zeit, in den 1850er und 1860er Jahren, begann die Öffnung Japans für die westliche Welt. Mit der Aufnahme der Handelsbeziehungen setzte auch eine vermehrte Reisetätigkeit ein, in deren Folge der japanische Farbholzschnitt in Europa entdeckt wurde und einen unschätzbaren Einfluss auf die hiesige Kunstentwicklung nahm. Umgekehrt entdeckten die Japaner ihre eigene jahrhundertealte Kunsttradition wieder und es begann Ende des 19. Jahrhunderts eine neue Phase des japanischen Farbholzschnitts. Auf diese Weise führte ein friedliches internationales Miteinander zu einer gegenseitigen Befruchtung der Kulturen in West und Ost.
Die Herstellung eines japanischen Farbholzschnittes
Die Herstellung eines japanischen Holzschnittes war stets ein Werk von vier Personen. Der Verleger (1) erteilte den Auftrag, übernahm die kostspielige Anfertigung der Stöcke und des Druckes und war demzufolge auch derjenige, der im Wesentlichen die Entwicklung bis hin zu seiner Verbreitung bestimmte.
Der entwerfende Künstler (2) begann mit einer Ideenskizze, die dann in präzisen Pinselstrichen mit Tusche auf ein dünnes Minogami-Papier übertragen wurde. Der Holzschneider (3) übernahm diese Zeichnung und legte sie mit der Bildseite nach unten auf einen Holzstock aus Kirschholz. Durch Einölen wurde das transparente Papier durchsichtig gemacht, so dass die gezeichneten Linienzüge von der Rückseite mit scharfen Messern haarfein umschnitten werden konnten. Der Grund dazwischen wurde ausgehoben und die Zeichnung bei diesem Prozess zerstört.
Die so entstandene Platte wurde zunächst dem Drucker (4) übergeben, der einen ersten Abdruck herstellte. Diesen erhielt der Künstler zurück, um in die einzelnen Flächen die gewünschten Farben einzutragen. Nach dessen Vorgaben stellte anschließend der Holzschneider die einzelnen Farbplatten her, für jede Farbe einen eigenen Holzstock. Die Kennzeichnung mit exakten Passmarken (Kentō) ermöglichte dem Drucker den exakten Zusammendruck der verschieden eingefärbten Platten. Hierzu wurde ein leicht angefeuchtetes Papier auf den eingefärbten Holzstock gelegt und mit einem runden Handreiber (Baren) angepresst. Die eingefärbten Holzplatten wurden nacheinander gedruckt. Der Drucker vermochte es während des Druckprozesses, verschiedene Effekte einzuarbeiten. So konnte er zarte Farbverläufe erzeugen, eine besondere Haptik durch Blinddrucke oder die Verwendung von pulverisierten Glimmerfarben erzielen. Auch bei den in unserer Sammlung vorhandenen Holzschnitten wurden diese Effekte eingesetzt.
Die ersten Ergebnisse der laufenden Konservierungsmaßnahmen
Um unsere Blätter auch für kommende Generationen zu erhalten, werden sie augenblicklich dank einer großzügigen Förderung der Ernst von Siemens Kunststiftung umfangreich restauratorisch und konservatorisch bearbeitet. Die nachstehenden Abbildungen zusammen mit den Bildunterschriften geben Einblicke in diese spannende Arbeit.
Beispiel I
Utagawa Toyokuni I. (1769–1825): Schauspieler Nakamura Utaemon, 1812
- Farbholzschnitt, 363 x 250 mm, Inv.‑Nr. MOIIG08325
Beispiel II
Utagawa Kunisada (1786–1865): Rachegeist einer Kurtisane, o. J.
- Farbholzschnitt, 355 x 244 mm, Inv.‑Nr. MOIIG08332
Beispiel III
Utagawa Kunisada (1786–1865): Schauspieler Sawamura Gennosuke II als Kan Shôjô, 1831
- Farbholzschnitt, Inv.‑Nr. MOIIG08288
Wir danken der Ernst von Siemens Kunststiftung für die Finanzierung der Restaurierungsmaßnahmen.
Ein paar Empfehlungen zur Vertiefung
Rechtliche Hinweise vorab
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