14. Januar 2021

Die Geheimnisse der Frau Krukenberg und ihrer Schwestern

Entdeckungen #3

 

Die Gemälde unserer Sammlungen halten viele Geheimnisse bereit, die es zu lüften gilt. Heute werfen wir einen Blick auf ein ganz besonderes Werk aus unser unlängst eröffneten Sammlungspräsentation im Talamt.

Weitere Informationen zur Sammlungspräsentation
„Alte Meister – Kunst des 16. bis 19. Jahrhunderts“

 

Georg Bergmann: Frau Agnes Sophie Krukenberg, geb. Kieser, mit ihren Schwestern, 1845, Öl auf Leinwand, 127 x 145 cm, Kulturstiftung Sachsen-Anhalt, Kunstmuseum Moritzburg Halle (Saale), Foto: Punctum/Bertram Kober

 

Das Gemälde des Künstlers Georg Bergmann (1818‒1870) zeigt drei schöne junge Damen, vielleicht um die 20 Jahre alt. In eleganten Kleidern, wie sie in der Mitte des 19. Jahrhunderts modisch wurden, und feinen, glatt frisierten Haaren sitzen sie gemeinsam an einem Holztisch. Um sie herum der Wald, lediglich nach links öffnet sich ein kleiner Blick auf eine weite Landschaft. Das Bild verrät nichts über die Frauen. Um wen handelt es sich? Die Dargestellten sind Agnes Sophie Krukenberg und ihre Schwestern Anna Luise und Marie Auguste. Doch diese Information war lange nicht bekannt.

 

In der Geschichte hinter diesem Bildnis lernen wir eine verzweigte Familie mit zahlreichen Ärzten, Wissenschaftlern, Juristen und vielen gleichnamigen Verwandten kennen. So ist es nicht sehr verwunderlich, dass auf dem Bergmann-Gemälde zunächst die Töchter des berühmten halleschen Arztes und Leopoldina-Mitglieds, Johann Christian Reil (1759‒1813), vermutet wurden. Reil war einer der ersten Ordinarien der Berliner Charité und maßgeblich am Aufbau der medizinischen Fakultät der Humboldt-Universität beteiligt.

Eintrag zu Johann Christian Reil in der Deutschen Biographie

Eintrag zu Johann Christian Reil im Teil-Katalog der wissenschaftlichen Sammlungen der Humboldt-Universität, Berlin

Frau Krukenberg mit Schwestern, nur so gibt das Inventarbuch über die Dargestellten Auskunft, nachdem das Werk 1957 ins Museum gekommen war. Eine von Reils Töchtern war eine verheiratete Krukenberg, deshalb der einfache Schluss. Doch es gab einiges, was gegen diese Annahme sprach: Einerseits wurde der Künstler Georg Bergmann erst 1818 geboren und wäre damit zu jung gewesen, um die Frauen im dargestellten Alter malen zu können. Andererseits hatte die angedachte Frau Krukenberg, gemeint ist Emilie Auguste Krukenberg (1793‒1881), geb. Reil, insgesamt drei Schwestern und nicht nur zwei.

Tatsächlich war sie später als „Tante Krukenberg“ entscheidend an der Entstehung des Porträts beteiligt. Sie beauftragte den Künstler, ihre Nichten und Neffen zu malen, so auch die Töchter ihrer Schwester Amalie Rosamunde Iphigenie (1789‒1872). Diese war seit 1821 mit dem Jenaer Mediziner und späteren XII. Präsidenten der Leopoldina, Dietrich Georg Kieser (1779‒1862), verheiratet. Kieser lehrte an der Universität und war führender Vertreter der „naturphilosophisch-romantischen Medizin“.

Er war befreundet mit dem Psychiater und Leiter der Heilanstalt in Hildesheim, Gottlob Heinrich Bergmann (1781‒1861). Über einen Besuch bei ihm im Jahr 1844 berichtet Kiesers zweitjüngste Tochter, Marie Auguste Behn, im Juli 1891 in ihren Memoiren:

Im Jahr 44 reiste ich mit Vater nach Hildesheim zu einem alten Freund meines Vaters, Bergmann, dem Direktor der Irrenanstalt, ein höchst anziehender alter Herr, der eine sehr liebenswürdige Frau hatte.

Wir verlebten herrliche 8 Tage, sahen dort hübsche Bilder von dem ältesten Sohn, August Bergmann [sic!], von denen wir Tante Krukenberg erzählten und dadurch von ihr der Plan gefaßt wurde, von ihren Nichten und Neffen Bilder malen zu lassen.

Im Frühjahr machte Bergmann dazu den Anfang. Aus dem bestellten kleinen Format wurden 2 Bilder in Lebensgröße von uns 3 Schwestern und später von Marie und Richard Bluhme. Bergmann blieb ein Vierteljahr bei uns in Jena, verliebte sich in Anna, malte in der Hafenkammer zuletzt auch noch den Vater, um die Abreise möglichst zu verschieben, da er sich so wohl bei uns fühlte. […].


Memoiren der Marie Auguste Behn, 1891

 

Bei den zunächst als Reils Töchter vermuteten Damen handelt es sich also letztlich um seine Enkelinnen, nämlich die Kieser-Schwestern (von links nach rechts): Anna Luise Dommrich (1822‒1865), Agnes Sophie Krukenberg (1826-1904) und Marie Auguste Behn (1824‒1908).

Die Verwechslung der beiden Krukenberg-Damen (Tante und Nichte) lässt sich einfach erklären: Die dargestellte Agnes Sophie war mit Gustav Krukenberg (1821‒1904) verheiratet, einem Rechtsanwalt und Notar in Halle (Saale). Dieser war der Neffe des Mediziners Peter David Krukenberg (1787‒1865), der Ehemann der Tante Emilie Auguste.

 


Anna Luise Dommrich
(1822‒1865)


Agnes Sophie Krukenberg
(1826‒1904)


Marie Auguste Behn
(1824‒1908)
 

 

Über das von Marie Auguste erwähnte zweite Gemälde der Schwestern wird vermutet, dass es sich im Besitz ihres Sohnes in Kiel befand und im Krieg zerstört wurde. Das Bildnis des Kieser-Vaters ist verschollen, allerdings könnte sich ein Stahlstich von August Weger (1823‒1892) an dem Porträt orientiert haben.

Ich mußte meiner kräftigen Natur nach den Jungen im Hause ersetzen.

Anna war nach dem Keuch­husten, den wir mit 6‒8 Jahren gehabt hatten, trotz aller Pflege kränklich und zart ge­blie­ben und Söphchen als Jüngste im­mer das Nest­häkchen unserer Mutter.


Erinnerungen von Marie Auguste Behn, Juli 1891

Die Erinnerungen von Marie Auguste Behn beschreiben die Entstehung dieses Kunstwerks in vielen farbigen Einzelheiten, wie man sie sich für die Forschung häufiger wünschen würde. Sie machen das Gemälde greifbar und erwecken die dargestellten Personen ein Stück weit zum Leben. Doch all das wäre nicht bekannt ohne den persönlichen Einsatz und den Wissensdrang um die eigenen Wurzeln.

Der Leipziger Arzt Dr. Peter Behn (1926‒2013), Urenkel Marie Augustes, wandte sich bereits 1979 mit seinen zusammengetragen Informationen, die noch weit mehr beinhalten als hier erzählt wurde, an das Museum. Sie waren erst im Zuge der Aus­stellungs­vor­berei­tungen der jetzigen Sammlungs­präsen­tation Alte Meister in der »Burg der Moderne« wieder aufgefunden worden, sodass dieses Gemälde neben seiner Funktion als anschauliches Beispiel der bürgerlichen Porträt­malerei des 19. Jahrhunderts in der Ausstellung auch das ein oder andere Geheimnis verraten konnte.

Virtueller Rundgang durch die Sammlungspräsentation
„Alte Meister – Kunst des 16. bis 19. Jahrhunderts“