09. Oktober 2020

Stoppt Antisemitismus – aus der Geschichte lernen. Gemeinsam.

Heute Mittag vor genau einem Jahr standen die Stadt Halle (Saale) und die gesamte Bundesrepublik unter Schock. Es fielen Schüsse unmittelbar vor der Synagoge der hiesigen jüdischen Gemeinde, die gerade Jom Kippur feiern wollte. Sirenen von Polizei- und Krankenwagen schrillten. Verunsicherte Menschen hasteten eilig nach Hause und in Sicherheit. Doch da waren schon zwei Menschen tot. Erschossen von einem rechtsextremistischen Attentäter, der den höchsten jüdischen Feiertag bestimmt hatte für ein unvorstellbares Blutbad. Weitere Menschen wurden auf der Flucht des Täters verletzt.

 

Nicht erst seit diesem Tag fragen sich alle demokratisch gesinnten Menschen, wie es soweit kommen konnte, dass Antisemitismus tägliche Gegenwart in Deutschland ist und in solcherlei extremistische Taten münden kann wie in Halle (Saale) oder jüngst in Hamburg.

Vielerorts wird heute nicht nur der Opfer antisemitischer Gewalttaten gedacht, sondern es gibt zahlreiche Veranstaltungen, die die Frage nach Gegenstrategien stellen. Hinweisen möchten wir hier z. B. auf die Landesdemokratiekonferenz „Ein Jahr nach dem Attentat in Halle – gemeinsam gegen Antisemitismus und Rassismus“, zu der das Sozialministerium Sachsen-Anhalt aufgerufen hat:

Weitere Informationen zur Landesdemokratiekonferenz „Ein Jahr nach dem Attentat in Halle – Gemeinsam gegen Antisemitismus und Rassismus“

Wir schließen uns an und sprechen uns nachdrücklich aus gegen Antisemitismus, Rassismus und jegliche menschenverachtende, demokratiefeindliche Anschauung und Handlung.

 

Dass am Ver­söhnungs­fest Jom Kippur auf eine Syna­goge geschossen wird, trifft uns ins Herz.

Wir alle müssen gegen den Anti­semi­tismus in unserem Land vorgehen.
 

Außenminister Heiko Maas am 9.10.19 auf twitter

Es wurden durch sie [die Tat] nicht nur Men­schen aus unserer Mit­te geris­sen, sie ist auch ein feiger Anschlag auf das friedliche Zu­sam­men­leben in unserem Land.
 

Ministerpräsident Reiner Haseloff

Die Brutalität des Angriffs übersteigt alles bisher Dagewesene der vergangenen Jahre und ist für alle Juden in Deutschland ein tiefer Schock.
 

Josef Schuster, Vorsitzender des Zentralrats der Juden in Deutschland

 

In unserem Museum werden die Besucher durch ganz besondere Ausstellungsstücke täglich an unsere gesellschaftliche Verantwortung vor allem gegenüber den jüdischen Mitgliedern unserer Zivilgesellschaft erinnert. Wie sich das darstellt, das möchten wir heute vorstellen.

 

Restitution und Präsentation von Objekten
aus ehemals jüdischem Besitz

Im Juni 2017 restituierte die Kulturstiftung Sachsen-Anhalt im Kunstmuseum Moritzburg Halle (Saale) in Anwesenheit von Rainer Robra, Chef der Staatskanzlei und Minister für Kultur des Landes Sachsen-Anhalt, Kunst- und Gebrauchsgegenstände aus ehemals jüdischem Besitz an die Jewish Claims Conference (JCC), vertreten durch Roman Haller.

 

Die insgesamt 17 restituierten Objekte, darunter 3 Besamimbüchsen für den privaten rituellen Gebrauch im Rahmen der Sabbatfeier, befanden sich seit 1940 im Kunstmuseum Moritzburg Halle (Saale). Trotz intensiver Recherchen in den zurückliegenden Jahren konnten die Eigentümer nicht ermittelt werden, sodass die Objekte formal an die JCC restituiert wurden und über einen Dauerleihvertrag weiterhin im Kunstmuseum Moritzburg Halle (Saale) verblieben.

Eine der Besamimbüchsen ging als Leihgabe an das Stadtmuseum Halle, wo sie Teil der dortigen Dauerausstellung ist. Dies war bereits vor der Restitution der Fall.

Ein Teil der im Museum verbliebenen Gegenstände ist in der 2017 neu gestalteten Sammlungspräsentation Wege der Moderne. Kunst in Deutschland 1900 bis 1945 zu sehen, der andere Teil wird im Schaudepot der Studiensammlung KUnsthandwerk & Design gezeigt. So bleibt das Gedächtnis an dieses Kapitel deutscher Geschichte gerade für die nachfolgenden Generationen gewahrt und öffentlich zugänglich.

Hier geht's zur Sammlungspräsentation:
„Wege der Moderne. Kunst in Deutschland im 20. Jahrhundert“

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Virtueller Rundgang durch die Sammlungspräsentation Wege der Moderne. Kunst in Deutschland 1900 bis 1945

Vollbild

Mitte der 2000er Jahre hatte sich das Bundesamt für zentrale Dienste und offene Vermögensfragen (BADV) an das Museum gewandt, um eine Anmeldung auf Restitution von drei Besamimbüchsen, die sich seit 1940 im Museumsbestand befanden, im Rahmen der Durchführung des Gesetzes zur Regelung offener Vermögensfragen i. V. m. §1 Abs. 1a des NS-Verfolgtenentschädigungsgesetzes durch die Jüdischen Gemeinde zu Halle (Saale) zu erzielen. Mit dem Eingang dieses Schreibens begannen Museumsmitarbeiter, intensiv nach der Herkunft der Werke zu forschen. Die Ergebnisse einer ersten früheren Recherche waren bereits 2002 in Form einer Auflistung der Erwerbungen zwischen 1933 und 1945/49 in der Lost-Art-Datenbank der Koordinierungsstelle für Kulturgutverluste in Magdeburg im Internet veröffentlicht worden.

Weitere Informationen zur Lost-Art-Datenbank

Bis dahin war die Herkunft der Besamimbüchsen in Publikationen des Museums mit dem Hinweis aus dem Inventarbuch gekennzeichnet worden: „Erwerb aus dem Leihamt der Stadt Halle“. Um die im Nachgang der Washington Principles von 1998 von den Vertretern der Bundesregierung, der Länder und kommunalen Spitzenverbände 1999 unterzeichnete Gemeinsame Erklärung zur Auffindung und zur Rückgabe NS-verfolgungsbedingt entzogenen Kulturgutes, insbesondere aus jüdischem Besitz, umzusetzen, fand zwischen 2011 und 2013 am Kunstmuseum Moritzburg Halle (Saale) ein Projekt zur Provenienzrecherche statt, bei dem die Erwerbungen zwischen 1933 und 1945/49, darunter auch die Ankäufe aus dem städtischen Leihamt, intensiv untersucht wurden. Im Zuge dessen erfolgte eine Recherche im Stadtarchiv Halle, die ergab, dass es sich bei den Erwerbungen aus dem Leihamt der Stadt Halle um NS-verfolgungsbedingt entzogenes Kulturgut handelte. Mit dem Ankauf für das Museum kamen nicht nur die erwähnten drei Besamimbüchsen in die Sammlung, sondern weitere silberne Gegenstände aus dem Bereich Kunsthandwerk, wie Dosen, Bestecke, Becher, die in ihrer Gestaltung oder Herstellung einen kunsthistorischen Wert darstellen. Insgesamt handelte es sich um ein Konvolut von 24 Gegenständen.

Besonders ist hier auf einen silbernen Jungfernbecher hinzuweisen. Der in den Ankaufsunterlagen enthaltene Hinweis auf den sogenannten „Restbestand des ‚Judensilbers’“ ist historisch auf die am 3. Dezember 1938 verabschiedete Verordnung über den Einsatz des jüdischen Vermögens sowie auf die im Januar 1939 verabschiedete dazugehörige Durchführungsverordnung und weitere Verordnungen zu beziehen. Diese Verordnungen zwangen die Juden, Schmuck, Kunstwerke und Wertgegenstände bei bestimmten Pfandleihanstalten abzugeben, und stellten eine weitere Maßnahme dar, die in Deutschland lebenden Juden, und mit Beginn des Zweiten Weltkrieges auch die europäischen Juden, systematisch zu verdrängen, zu entrechten, zu berauben, auszubeuten und schließlich zu ermorden. Leider existieren die Akten des Leihamts der Stadt Halle nicht mehr. Über sie wäre es eventuell möglich gewesen, die abgegebenen Silbergegenstände konkreten Personen zuordnen zu können, um die Restitution des entzogenen Kulturguts an die einstigen Besitzer oder deren Nachkommen oder deren Vertreter durchzuführen. Es wurde dennoch weiter versucht, die Herkunft der Gegenstände zu ermitteln. Recherchen wurden im Landeshauptarchiv Sachsen-Anhalt in Magdeburg durchgeführt ebenso wie im Centrum Judaicum in Berlin, das die historischen Unterlagen der Jüdischen Gemeinde Halles aufbewahrt. Trotz intensiver Bemühungen wurden auch in diesen Akten keine weiterführenden Hinweise gefunden. Die letzte Recherche fand im Landesarchiv Berlin statt, wo die Akten der sogenannten Wiedergutmachungsämter aus den 1950er Jahren eingesehen wurden. Leider sind dort nur sehr wenige Unterlagen von einstigen jüdischen Bürgern aus Halle vorhanden, sodass auch diese Recherche ergebnislos blieb. Eine Restitution an einstige Besitzer oder deren Nachfahren ist somit heute nicht mehr möglich. Aufgrund dieser Faktenlage forderte das BADV das Kunstmuseum Moritzburg Halle (Saale) im Mai 2013 auf, mit der Conference on Jewish Material Claims Against Germany, Inc. Nachfolgeorganisation (JCC) eine gütliche Einigung zur Beendigung des Restitutionsverfahrens herbeizuführen – zu der es letztlich im Juni 2017 kam.

Dieser Vorgang und die damit verbundenen Forschungsergebnisse sind für die Geschichte unseres Museums von hoher Bedeutung. Es stellt sich die Frage, warum das Museum, das zum Erwerbszeitpunkt der Objekte im Jahr 1940 von Robert Scholz, einem der führenden Mitarbeiter des NS-Ideologen Alfred Rosenberg, geleitet wurde, Objekte jener Kultur erwarb, die man negieren und vernichten wollte, denn mit dem Erwerb dieser Gefäße war auch ihr Erhalt verbunden. Andernfalls wären sie aufgrund des Materialwertes vermutlich eingeschmolzen worden. Womöglich steht der Erwerb der Objekte im Zusammenhang mit den bis zum Sommer 1940 im Torturm der Moritzburg eingerichteten Schauräumen des Instituts für Religionswissenschaften der sogenannten Hohen Schule der NSDAP. Diese Eliteuniversität, die nach Kriegsende am Chiemsee errichtet werden sollte, hatte die Ausbildung von Wissenschaftlern zum Ziel, die der ideologischen wissenschaftlichen Untersetzung der nationalsozialistischen Weltanschauung dienen sollte. Die wissenschaftliche Vorarbeit sollten elf deutschlandweit verteilte Institute leisten, von denen neun ab 1940 gegründet wurden. Aufgabe des halleschen Instituts für Religionswissenschaften war die Erforschung der Entstehung des Christentums. Unter Ausnutzung der Befugnisse des Einsatzstabs Reichsleiter Rosenberg sollten für die Arbeit deutschlandweit sowie in allen besetzten Gebieten potentielle Quellen wie Dokumente, Bücher, Kunstgegenstände etc. beschlagnahmt werden. Möglicherweise steht der Erwerb der Silbergegenstände aus dem Leihamt der Stadt Halle durch das Museum im Zusammenhang mit der angedachten Einrichtung der Schauräume des Instituts für Religionswissenschaften der sogenannten Hohen Schule der NSDAP und sollten die Objekte nach dem Krieg in ideologisch motivierter, das Judentum diffamierender Absicht präsentiert werden. Detailliertere Informationen hierzu liegen trotz entsprechender Recherchen bislang nicht vor.

Die Terrakotta-Figuren von Moissey Kogan

Ein paar Schritte weiter in unserer Sammlungspräsentation Wege der Moderne finden Sie die kleinen Werke des Bildhauers Moissey Kogan (1879‒1943), der jüdischen Glaubens war. Aus Bessarabien stammend, zog er von Kunststadt zu Kunststadt durch Europa. In München wurde er von den Künstlern im Kreis um Franz Marc (1880‒1916) hoch geschätzt und stellte mit ihnen gemeinsam aus. Kogan war ein echter Kosmopolit und fasziniert von den Antiken- und asiatischen Abteilungen der großen europäischen Museen. Er zog in die Schweiz, die Niederlande und lebte schließlich in Paris - meist in Hotelzimmern – immer in bescheidenen Verhältnissen. Max Sauerlandt (1880‒1934), erster Direktor unseres Museums, erwarb schon früh Werke von ihm für die Sammlungen wie auch für sich privat. Die kleinen Frauenfiguren aus Terrakotta, die von griechischen Vorbildern angeregt sind, formte Kogan in Holzmodeln aus und brannte sie selbst – manche lassen noch seine Fingerabdrücke erkennen. In Bronze wurden nur wenige kleinformatig Werke gegossen, wie das Relief Das Urteil des Paris, das wir ebenfalls in unserer Ausstellung zeigen. Kogan wurde im Februar 1943 aus Paris, wohin er Ende der 1930er Jahre trotz aller Warnungen zurückgekehrt war, deportiert und starb kurz darauf im KZ Auschwitz.​

 

Rückkehr zweier 1938 verkaufter Gemälde
von Max Liebermann

Erst seit kurzem sind zwei Gemälde von Max Liebermann (1847‒1935), die der damals amtierende Direktor des Museums 1938 aus der Sammlung verkaufte, weil Liebermann jüdischen Glaubens war, nach mehr als 80 Jahren wieder Teil unserer Sammlungspräsentation.

Darüber haben wir bereits in unserem Blog-Beitrag am 3. September ausführlich berichtet.

Blog-Beitrag, 3.09.2020:
„Rückkehr zweier Werke von Max Liebermann“

 

Zwei besondere Objekte aus der Sammlung
Kunsthandwerk & Design


In unserer Sammlung angewandter Kunst befinden sich u. a. zwei jüdische Verlobungs- bzw. Hochzeitsringe aus dem späten Mittelater. Der rechts abgebildete bereichert ab Ende Oktober 2020 als Leihgabe die Ausstellung Mit diesem Ring ... Jüdische Hochzeit im Mittelalter in der Alten Synagoge in Erfurt.

Weitere Informationen zur Ausstellung:
Mit diesem Ring ... Jüdische Hochzeit im Mittelalter, Alte Synagoge, Erfurt, 29.10.2020–14.03.2021

Beide Ringe gehören zum sogenannten Weißenfelser Schmuckfund und gelangten 1918 aus dem ehemaligen Provinzialmuseum Halle in unsere Sammlungen. Der Hortfund wurde 1826 vom Thüringisch-Sächsische Verein für Erforschung des vaterländischen Altertums und Erhaltung seiner Denkmale erworben, nachdem die Objekte 1823 bei Grabungsarbeiten in der Nähe des Hospitals St. Laurentius nahe Weißenfels geborgen worden waren. Über den Grund des Vergrabens der Objekte vermutlich im 14. Jahrhundert gibt es verschiedene Mutmaßungen. Wahrscheinlich steht es im Zusammenhang mit den Pogromen gegen Juden im Kontext der Pest.

Unter den Objekten nimmt der erwähnte Ring eine besondere Stellung ein, gibt es doch in ganz Europa nur wenige Vergleichsstücke. Bekrönt wird er von einem Tempel in Form einer kleinen gotischen Kapelle mit der Inschrift in hebräischen Lettern: Gut Glück. Der zweite Ring mit einem eingeschlossenen Saphir, dem Stein mit der symbolischen Bedeutung von Treue, Reinheit und Liebe, trägt die griechische Inschrift: Allen Liebenden.

 

Die vorgenannten Beispiele zeigen, dass auch ein Museum wie das unsere, dessen Sammlungen die Entwicklung der Gesellschaft spiegeln, sich ständig seiner Geschichte bewusst sein, geschehenes Unrecht transparent machen und wertschätzende Lösungen finden muss. Dem fühlen wir uns verpflichtet!

 

 

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