18. Juni 2020

Lili Schultz – eine innovative Künstlerin


Ich glaube, [i]hre Freiheit, Sicherheit, die euphorische Begeisterung entstand aus der für sie schicksals­bestim­men­den Wieder­entdeckung des als wertlos tradierten Materials Email für die Kunst.

Irmtraud Ohme (Schülerin von Lili Schultz),
Lili Schultz zu Ehren, 1996

 

Am 15. März 1958 hatte Lili Schultz ihre Geburtsstadt und künstlerische Heimat Halle (Saale) für immer verlassen. Sie war geflohen. In einem bewegenden Brief an ihre Schüler nahm sie Abschied:


Wenn jetzt meine Art zu schaffen als dekadent gilt und bei den Führungen Eure besten und kühnsten Arbeiten fortgeräumt werden, was soll ich da noch? […] Setzt Euch stark und froh hinweg über den jetzigen Zustand [...]


Lili Schultz, handschriftlicher Entwurf des Abschiedsbriefes an ihre Studierenden der Kunstschule in der Burg Giebichenstein,
undatiert, März 1958

vollständiger Brief auf www.kuenste-im-exil.de

Historiker nennen die politische Einvernahme der Kunst nüchtern den „Formalismusstreit“, ein Begriff, der die Schicksale vieler Kreativer nicht erfasst.

Lili Schultz wurde 1895 in Halle (Saale) geboren und studierte hier von 1915 bis 1919 bei Paul Thiersch (1879–1928) und Maria Likarz (1893–1971). 1919/20 war sie Meisterschülerin von Fritz Helmuth Ehmcke (1878–1955). 1924/25 lehrte sie am Bauhaus in Weimar bei Paul Klee (1879–1940), Wassily Kandinsky (1866–1944) und László Moholy-Nagy (1885–1946). 1925 übernahm sie die Leitung der Emaille-Klasse an der halleschen Kunstschule in der Burg Giebichenstein. Nach mehr als 30 Jahren Tätigkeit entwurzelte sie das dogmatische Leitbild des sozialistischen Realismus. Die Werkkunstschule in Düsseldorf bot ihr 1958 eine Anstellung und die Chance, ohne ideologische Bevormundung weiterarbeiten zu können. Lili Schulz starb am 18. Juni 1970 in Seeshaupt am Starnberger See.

 

Lili Schultz belebte die vergessene alte Handwerkskunst der Emaille-Gestaltung im Geist der Moderne neu. Sie entwickelte alte Techniken weiter und erfand zugunsten der Ausdruckskraft ihrer Ideen neue. So geht die Erfindung des Fugen-Emaille auf sie zurück. Ihre Arbeiten für Architekturgestaltungen eröffneten dem Emaille neue Anwendungsbereiche. Spätestens mit den Arbeiten für die Innenausstattung des Lloyd-Dampfers Bremen wurde sie deutschlandweit bekannt. Lili Schultz suchte nach Materialgerechtigkeit, denn „Email gibt sein Eigentliches nur durch die Unmittelbarkeit, durch das völlige Eins-Sein mit dem Material“. Ihr vielseitiges Werk umfasst Schmuckstücke, kleine und großformatige Bildplatten, Dosen und Schalen sowie die Gestaltung von Innenräumen und Objekten, aber auch Porzellane. Die Entwürfe zeugen von einer Synthese aus angewandter und freier Kunst und faszinieren durch ihre strahlende Farbigkeit und malerische Abstraktion.

 

Herauszuheben ist im Besonderen die große Emaille-Schale aus dem Jahr 1929, in der die in einem vermeintlichen Strudel schwimmenden Fische ganz lebendig wirken. Das wie ein plastisches Relief gestaltete Armband, ebenfalls aus den späten 1920er Jahren, entspricht mit seiner außergewöhnlich expressiven Farbigkeit der Programmatik von Paul Thiersch, der das „Tiefgründig-glutvolle als den wesentlichen Charakter des Emails“ ansah.

Das Kunstmuseum Moritzburg Halle (Saale) erwarb bereits im Jahr 1920 mit dem intimen Bild der Heiligen Barbara eine erste Arbeit der innovativen Künstlerin. Sie zählt zweifellos zu den einflussreichen Wegbereitern der Moderne. Mehrere ihrer Werke sind in der Sammlungspräsentation Wege der Moderne zu sehen, darunter auch die berühmt gewordenen Teedosen. Weitere Arbeiten können bei einem Besuch der Studiensammlung Kunsthandwerk & Design entdeckt werden.

Sammlungspräsentation Wege der Moderne

Virtueller Rundgang durch die Sammlungspräsentation Wege der Moderne

Studiensammlung Kunsthandwerk & Design