03. Oktober 2020

30 Jahre Deutsche Einheit:
„Berlin, nun freue Dich!“

Nun jährt sie sich schon zum 30. Mal, die deutsche Wiedervereinigung. Ein historisches Ereignis, das sich kaum in Bildern fassen lässt und von dem doch unendlich viele Aufnahmen existieren. Die Sammlung Fotografie im Kunstmuseum Moritzburg Halle (Saale) bietet mit den Bildnachlässen der Gesellschaft für Fotografie im Kulturbund der DDR sowie dem Fotokino-Verlag einen vielfältigen Fundus an Bildern aus dem „anderen“ Deutschland. Ein kursorischer Blick lässt die Zeit der Trennung, die Mauer und die Wiedervereinigung anhand dreier Bildstationen Revue passieren.

Zu Beginn eine kleine Episode in zwei Aufnahmen aus dem Bestand des Fotokino Verlags: Nachdem am 13. August 1961 offiziell und gleichsam über Nacht die Mauer errichtet wird, spitzt sich die Lage im Herbst zu. Ende Oktober kommt es zu einer Eskalation zwischen amerikanischen und sowjetischen Streitkräften am Grenzübergang in Berlin: Die Amerikaner beanspruchen ihr freies Passierrecht, die sowjetischen Streitkräfte halten dagegen. Mitten drin: Ernst Lemmer (1898–1970), Bundesminister für gesamtdeutsche Fragen.

 

„Lemmer versuchte an der Staatsgrenze zu provozieren“, heißt es in der Unterschrift des Bildes von Rudi Hesse. Auf der Rückseite findet sich der Stempel des Allgemeinen Deutschen Nachrichtendiensts mit der Notiz:

Am 28.10.1961 versuchte der Bonner Spionageminister Lemmer sich in die amerikanischen Provokationen am Kontrollpunkt in der Berliner Friedrichstraße einzuschalten. Kurz nachdem Lemmer begonnen hatte eine seiner sattsam bekannten Hetzreden gegen die DDR vom Stapel zu lassen, wurde der Spionageminister zusammen mit der ihn umgebenden Meute Revolverjournalisten der Frontstartpresse, des Westrundfunks und -fernsehens von amerikanischen Militärpolizisten von der Staatsgrenze nach Westberlin zurückgestoßen.

Nicht nur der Text, auch die Bildaufnahme aus der Beobachterpers- pektive hinter der Grenze, verdeutlichen die radikale Zäsur zwischen Ost und West. Die Prominenz des Bildes zeigt seine Einbindung in eine politische Wandzeitung anlässlich des 20. Jahrestages der DDR mit dem Titel „Das ‚Gelemmer‘ an den Grenzen seiner politischen Macht“:

 

In einer Variante von Edgar Kirschenbaum wurde die Szene im Rahmen der ersten Pressefotoschau der DDR 1963 gezeigt. Stellvertretend für eine westlich-deutsche Haltung wird Lemmer hier zum Aggressor stilisiert, der sogar von den Alliierten zurückgehalten werden muss. Der engere Bildausschnitt fokussiert Lemmers Gesicht und verdeutlicht die Emotionen auf beiden Seiten. Noch wird der Status quo ausgehandelt, es scheint unglaublich und zugleich unaufhaltbar, was da geschieht.

 

Szenenwechsel: Die Mauer ist Realität. Wie kommt sie ins Bild? Zunächst fast gar nicht. „Niemandslandschaft wird zum Neuland für die Kamera“ schreibt Ilona Rühmann (geb. 1955) in der Dezember-Ausgabe der Zeitschrift Fotografie von 1990. „Die bislang verbotene Zone fordert heraus: Neugier, nüchterne Bestandsaufnahme, Nachdenken.“ Bilder gibt es also erst später: Sachliche Aufnahmen ohne Menschen versuchen, dem Wesen der Mauer auf die Spur zu kommen. Grafische Strukturen und klare Schwarzweißkontraste vermitteln eine Stille, die zugleich die Unausweichlichkeit der Grenze, ihre physische Präsenz visuell einfängt.

Der fotografische Zugriff schließt Gänsehaut ein. Die Reporter wußten: Da kam bis vor kurzem keiner durch. Niemand durfte so nah heran. Nun ziehen sie den Betrachter hinein in den Tatbestand, das Schaudern, den grafischen Reiz.

Ilona Rühmann

Der Schatten des Wachturms erscheint bedrohlich, zugleich erinnert das gleißende Licht an einen heißen Sommertag. In Sparnberg picken Hühner Körner vor Betonblöcken, das Dynamostadion in Berlin Mitte ist quasi Teil der Mauer – die Grenze ist außerordentlich und doch alltäglich und nun im Verschwinden begriffen.

Szene 3: Das Brandenburger Tor, aufgenommen von Werner Schulze. Fahnenschwingende Menschen erinnern an den Fall der Mauer 1989, an Menschenströme und Autokorsos an den Grenzübergängen, an Menschen, die Fremden in den Armen liegen, Menschen, die feiern. Hier nun ein Bild vom 22. Dezember 1989. Helmut Kohl (1930–2017) und Hans Modrow (geb. 1928) haben drei Tage vorher die Öffnung des Brandenburger Tors vereinbart. Im Regen findet der Jubel statt. „Berlin, nun freue dich!“ findet Bürgermeister Walter Momper (geb. 1945) die passenden Worte für diesen historischen Moment.

 

 

Die Form der Einheit ist gefunden.

Nun gilt es, sie mit Inhalt und Leben zu erfüllen.

Richard von Weizsäcker

In der Rückschau wird deutlich: Diese Aufnahmen sind historisch, ihre Rezeption ist durch den jeweiligen Verwendungskontext geprägt. Heute leben wir in einem anderen, eben in einem wiedervereinten Deutschland. Die deutsche Wiedervereinigung ist zwar ein Datum, trägt in sich jedoch eine Zeitspanne, die sich immer nur punktuell in Bildern zeigen lässt. Politische und gesellschaftliche Entwicklungen und regionale Unterschiede sind trotz der Einheit präsent, können aber im Idealfall als integrativer Teil unserer Geschichte erfahren werden.

 

Durch die Wieder­verei­nigung und die Spieler der DDR wird Deutsch­land auf Jahre un­schlag­bar sein!

Franz Beckenbauer, 1990

 

Wie das ganz konkret in der Museumsarbeit aussehen kann, erfährt man zum Beispiel in der Sammlungspräsentation Wege der Moderne. Kunst in Deutschland im 20. Jahrhundert des Kunstmuseum Moritzburg Halle (Saale): Hier gibt es zur Kunst des Nationalsozialismus und der DDR keine Leerstelle, wie in vielen Kunstmuseen, sondern beides wird gezeigt, kommentiert und zu breiteren Entwicklungen der Moderne ins Verhältnis gesetzt – zu entdecken vor Ort oder in unserem virtuellen Rundgang.

Virtueller Rundgang durch die Sammlungspräsentation
„Wege der Moderne. Kunst in Deutschland im 20. Jahrhundert“

 

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